Aus Eugen Egners Püppchenstudio
Unerwartete Entwicklung des Abends (1. Teil)
Im Schaufenster einer Buchhandlung entdeckte ich ein Plakat, auf dem mein Name stand. Es handelte sich um die Ankündigung einer Veranstaltung im neuen Kulturzentrum. Wie es hieß, sollte ich an diesem Abend ab zwanzig Uhr aus meiner Autobiographie lesen. ‚Aber die ist doch noch lange nicht fertig’, dachte ich unangenehm berührt. ‚Wie kommen die Menschen nur auf so eine Idee?’ Ich sah auf meine Uhr, es war bereits zwanzig Uhr zehn. ‚Ich muss sofort hingehen und die Angelegenheit klären’, beschloß ich.
Ein paar Minuten später erreichte ich das neue Kulturzentrum. Wie ich von draußen sehen konnte, standen im erleuchteten Foyer einige Menschen. Ich trat ein. Eine große Frau, deren Alter ich auf siebenundvierzig geschätzt hätte, wenn ich dazu aufgefordert worden wäre, kam zu mir und stellte sich als Kulturamtsleiterin vor.
„Sie haben Glück“, sagte sie, „es ist kein Mensch zu Ihrer Lesung erschienen.“
„Und die Menschen, die hier stehen?“ wunderte ich mich.
„Die sind immer hier“, erklärte die Kulturamtsleiterin, „sie bevölkern das Foyer ein wenig.“
Ich war erleichtert. Die Lesung fiel aus, das ersparte mir große Unannehmlichkeiten. Eigentlich wollte ich nun gehen, doch die Kulturamtsleiterin bestand darauf, mich mit dem Grafen von H. bekannt zu machen. Sogleich präsentierte sie mir einen distinguierten älteren Herrn, den ich bisher überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Er drückte mir die Hand und sprach freundlich: „Ich habe Ihren Vater gekannt, als er ein Kind war. Manchmal kam er sonntags zu meiner Frau und mir ins Schloss, um mit uns zu Mittag zu essen und Radio zu hören.“
Mein Vater hatte mir wiederholt von seinen Besuchen im Schloß erzählt. Noch im hohen Alter galten sie ihm als Höhepunkte seines Lebens. Und nun lud derselbe Graf auch mich ein! Ich nahm dankend an. Von der Kulturamtsleiterin war nichts mehr zu sehen. Eventuell hatte sie zwischenzeitlich das Rentenalter erreicht. Der Graf von H. geleitete mich behutsam hinaus auf die Straße, wo seine weiße Maibach-Limousine wartete. Wir stiegen ein, und der livrierte Chauffeur fuhr uns mit rotierenden Rädern zum Schloß, bis wir dort eintrafen.
Unterwegs in der Natur
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