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So chic wird die neue Notre-Dame!

Vor einem Monat brannte die Kirche Unserer Lieben Frau zu Paris vollständig ab. Das war schade. Die Jahrtausende alte Kathedrale war mehr als nur eine Kathedrale. Sie war ein Symbol für Europa (denn dort stand sie) und für die menschliche Schaffenskraft (Menschen hatten sie einst errichtet). Nun soll sie so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden – sobald der Halter des olivgrünen Peugeot 205 seinen Wagen von der geplanten Grundfläche entfernt hat, danke!

Das Geld dafür ist vorhanden. Binnen weniger Tage hatten gutbetuchte Privatpersonen die erforderlichen 900 Millionen Euro zusammen. "Ich saß gerade an meinem mit Nashornhaut bespannten Schreibtisch aus Atlas-Zedernholz und füllte einen Spendenscheck für eine Lepraklinik auf Madagaskar aus", erinnert sich ein britischer Mäzen und Privatier, der anonym bleiben möchte, "da kam über den Funkfernschreiber die Meldung vom Kirchenbrand in Paris rein. 'Worthington!', rief ich. 'Reichen Sie mir einen leeren Scheck, die Aussätzigen müssen warten!' Noch vor der Fünfuhr-Schwefelmelasse waren 150 000 Pfund Sterling im Säckel der welschen Betbrüder. You are most welcome!"

Nun fehlt es nur noch an konkreten Plänen. Und die könnten ausgerechnet mit deutscher Unterstützung umgesetzt werden. Sowohl Monika Grütters, CDU-Kulturstaatsministerin, als auch Barbara Schock-Werner, ehemalige Dombaumeisterin in Köln, haben kürzlich hohen Politgrößen im Nachbarland ihre Aufwartung gemacht. "Bis zum Ende des Jahres steht das Ding, sonst rollen hier wieder deutsche Panzer, Freundchen", soll es offiziell geheißen haben. Verständlicherweise ist man hierzulande erpicht darauf, dass Notre-Dame bald wieder ihre Pforten öffnet, denn sie ist ein beliebtes Reiseziel und Instagram-Motiv. Einfach Kult!

Knapp daneben: Dieser Entwurf landete im Architekturwettbewerb dann doch nur auf Platz zwei

Der Teufel liegt in den Details. Soll das neue Dach aus Polyethylen gegossen werden oder lieber aus Glas sein, oder soll man es diesmal aus Sicherheitsgründen gleich ganz weglassen? Wählt man eine Drehtür als Eingang, eine automatische Schiebetür oder so eine Flügelpforte wie in alten Western-Saloons? Hausmeister Émile Charbon empfängt uns mit einem Lachen zum Pressetermin auf dem immer noch romantisch lohenden Baugelände. "Gute Nachrichten, Mesdames et Messieurs! Die Kleiderständer sind gekommen. Zehn Stück, im Angebot. Das ist eine Sorge weniger. Ah oui, und da bringt unser Ministrant neue Farbe!" Ein buckliger Knabe, der das rechte Bein etwas nachzieht, schleppt vier Eimer Eierschalenweiß heran und stellt sie neben einem Tapeziertisch ab. Nun lässt sich auch Weihbischof Thibault Verny blicken. "Excusez-moi, ich muss erst mal eine rauchen – selbstverständlich in der neuen Raucherecke", grinst er und steckt sich eine Merguez an. "Es ist gerade alles sehr stressig. Ich habe heute morgen erfahren, dass wir für 2020 keine Genehmigung für Fußballübertragungen bekommen. Aber immerhin eine Orgel dürfen wir wieder aufstellen, frei bespielbar für Gäste, wie in modernen Bahnhöfen!"

Notre-Dame, die nach einem ihrer Sponsoren fortan Vittel-Kathedrale heißen wird, soll Groß und Klein gleichermaßen anziehen. "Ermäßigter Eintritt für Kinder sowie Familienrabatte sind ein Muss!", forderte Emmanuel Macron kürzlich in einem Leserbrief an "Le Monde". Die Kleinen bekommen tatsächlich schon jetzt etwas geboten: Neben der Federwippen-Anlage steht eine riesige Pappwand mit den beliebten Zeichentrickfiguren "Die Minions" (französisch: "Les Mignions") darauf; durch die ausgeschnittenen Löcher in den Gesichtern der gelben Frechdachse können Besucher ihre Köpfe stecken und sich fotografieren lassen. Aber auch auf die einheimische Kultur besinnt man sich. "An einem der Seitenschiffe wird es einen Stand mit frischem, saisonal belegtem Flammkuchen geben, zum fairen Preis! Und direkt unter dem Jesuskind – übrigens eine Arbeit des Abschlussjahrgangs 2018 der Mimen- und Clownschule Gaulier – hängt ein schöner A2-Kunstdruck des wohl berühmtesten Gemäldes von Leonardo da Vinci, der Mona Lisa beziehungsweise La Joconde, wie sie bei uns heißt. Wir sind schon ein ausnehmend blödes Volk."

Auch wenn es in den vergangenen Jahren nicht so rund lief: Die Grande Nation hat sich immer wieder aufgerappelt. Selbst in diesem Moment, als eine unbezahlbare hölzerne Marienfigur spontan in Flammen aufgeht, verliert niemand seinen sprichwörtlichen Humor. "Das nennt man wohl Vorführeffekt", lacht der Hausmeister und stellt den Feuerlöscher beiseite. "Aber unser savoir-vivre ist stärker als tausend Höllenfeuer oder die Tatsache, dass uns keine Versicherung diesseits des Rheins mehr aufnehmen mag. Und nun richten Sie Ihr Augenmerk auf ein weiteres Highlight!" Mit einem heftigen Ruck zieht er eine Plane weg und enthüllt zwei augenscheinlich frisch modellierte Wasserspeier. "Sacré bleu!", ächzt eine Medienvertreterin. "Kann man solche scheußlichen Gargoyles der Öffentlichkeit zumuten?" Der anwesende Kirchenmann beschwichtigt: "Das sind keine Gargoyles, das sind Nachbildungen unserer jüngst heiliggesprochenen Nationalhelden Franck Ribéry und Vincent Cassel."

Ein altertümlicher Prachtbau erfindet sich neu. Die Journalistinnen und Reporter, zumindest jene, die nicht in das immer größer werdende Erdloch im Fundament gestürzt sind, erhalten zum Abschied einen Lucky-Luke-Heliumballon. Auch er steht für unsere Werte, unsere Träume, unser Streben nach einem vereinten Kontinent.

Torsten Gaitzsch

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Briefe an die Leser

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt