Zum Tode von Walter Jens – ein Nachwurf
Er war ein intellektueller Elefant: Altphilologe, Rhetoriker, Philosoph, Hermeneut, Diskursanalytiker, Seismograph, Kompaßnadel, Buchautor und vor allem ein Mensch. Walter Jens konnte alles, sogar Kuchen backen – jetzt ist er tot. Geboren 1923, trat er 1942 in die NSDAP ein, durfte aber zeitlebens wegen schwacher Puste nicht mitmarschieren, geschweige denn eine Waffe halten. Statt dessen studierte er Germanistik und Kritikerlatein, promovierte noch im Kindesalter und erfand nach dem Krieg Günter Grass und Heinrich Böll, um die Gruppe 47 gründen zu können. Dort galt er rasch als raffinierter Polemiker, der an fremden Texten keins seiner gefürchteten guten Haare ließ. Mit Scharfsinn und Schadenfreude zerpflückte er die Literatur der anderen, und wenn das nicht genügte, nahm er auch noch die Schere hinzu (er selbst konnte nach eigenen Angaben "ganz okay" schreiben). Wegen seines immer wahnsinnigeren Auftretens in der Öffentlichkeit gab man ihm schließlich eine Rhetorikprofessur zum Runterkommen, doch das reichte Jens (Walter) nicht. Walter Jens war ein geistiger und moralischer Zehnkämpfer, ach was: Hundertkämpfer. Im Alleingang metzelte er sich durch die Talkshows der Republik, sammelte Posten um Pöstchen und ließ bisweilen sogar auf Jahrmärkten gegen Bezahlung kleine Aphorismen fallen. Ohne Walter Jens sähe die deutsche Kulturlandschaft heute anders aus, ärmer, noch erbärmlicher, aber auch schöner. Einem breiteren Publikum bekannt wurde Walter Jens schließlich im Greisenalter durch seine Demenzerkrankung. Wir werden ihn nie vergessen (mit uns ist ihm das allerdings schon vor ein paar Jahren passiert).
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