Quo vadis, Datenschutz?
Ein nachdenklicher Gedankeneinwurf
Lassen wir zunächst einmal die Kirche im Dorf, wo sie ja auch hingehört. Verwundern sollte es jedoch heutzutage niemanden mehr, der noch bei Trost ist, daß letzterer bitter nötig ist, wird man doch zunehmend einer Situation gewahr, die da in unseren Breitengraden sich zum veritablen Phänomen gemausert hat, welches in seiner gegenwärtigen Ausprägung durchaus legitimer Anlaß sein dürfte, ja sollte, einmal eine grundsätzliche Standortbestimmung und Bestandsaufnahme durchzuführen. Wir sollten da die Karten ganz klar auf den Tisch legen und eine Zeit lang liegen lassen, auf daß alle sie sehen. Ob sie auch von allen gesehen werden wollen, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt Papier.
Es ist dies der Versuch, jene neuralgischen Punkte aufzuspüren, die die Tektonik unserer Gesellschaft – wohlgemerkt im 21. Jahrhundert! – ins Ungute, ins Prekäre auch, zu verschieben sich anzuschicken scheinen, wie manche – durchaus mit Recht – meinen. NSA: drei Buchstaben – zwei Konsonanten, ein Vokal –, so unauffällig wie CDU, BDI oder NSU. Aber während dort auch der Hintergrund ein bürgerlich-redliches Bild zu liefern scheint, fördert ein Blick hinter die ach so biedere Fassade "NSA" nicht eben Unbeunruhigendes zutage: Daten, Daten, Daten. Unsere Daten, versteht sich. Datenschutz: Fehlanzeige. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wo das alles noch enden wird. Überwachung, ick hör dir trapsen! Ein Unverbesserlicher, wer da naiv auf Transparenz zu hoffen sich vorwagt. Das Gegenteil ist der Fall. Der Ton wird rauer, reservierter, nicht zuletzt auch leiser, was freilich nicht allein der geographischen Distanz geschuldet ist, sondern gleichsam der politischen. Eiszeit ist angesagt im transatlantischen Verhältnis, und zwar durchaus allein im übertragenen Sinne, wird es doch gerade Frühling, und Annika und Sophie, 19, genießen die ersten Sonnenstrahlen des Jahres, in einem Straßencafé sitzend. Auf ein Frühlings Erwachen hofft man jedoch vergeblich bei "Uncle Sam", hat der doch Wedekind nie gelesen. In "old Europe" ist man nun angewiesen auf weitere likes (engl. für "Leck") eines gewissen Edward Joseph Snowden, Exilant von Putins Gnaden, der unzählige mit unseren Paßwörtern, privaten Korrespondenzen und Telefongesprächen bis zum Bersten vollgestopfte Koffer über den großen Teich zu schmuggeln vermochte – inkognito, versteht sich.
Unsere Kanzlerin Angela "Angie" Merkel hat jetzt den undankbaren Job, aber nichtsdestoweniger die Pflicht, möglichst zeitnah vorzusprechen bei "Big Brother", daß so etwas nun mal nicht geht, weder unter Freunden noch unter Geschwistern. Die Obama-Administration wäre gut beraten, das nötige Fingerspitzengefühl nicht vermissen zu lassen im Umgang mit einem Volk, dessen Privatsphäre erheblich gelitten hat. Vor kaum einem Vierteljahrhundert noch wüteten hierzulande Erich Mielke und seine Schnüffelschergen, bespitzelten Hinz & Kunz nach Lust & Laune, wie sie lustig waren. Reue? Fehlanzeige. Ex-IM Gregor Gysi läuft noch immer frei im Bundestag herum und macht sich eifrig Notizen. Welch Hohn! Und in dieser nicht eben (Blindtext) Situation kommt nun Washington um die Ecke und versetzt uns ungerührt in längst überwunden geglaubte Zeiten, reißt alte Wunden auf, Traumata auch. Stasi 2.0, das digitale Leben der Anderen, Mißtrauen reloaded. Zugegeben, der Vergleich erscheint scheinbar gewagt, will jedoch bewußt provozieren, aufrütteln, in die Suppe spucken. Fakt ist: Das Hauptgebäude der National Security Agency ist ganz schön groß, das geben selbst die Amerikaner zu. Was soll die Einschüchterung? Kommt man ohne vorherige Terminvereinbarung an die Pforte, erbittet – den Journalistenausweis brav am Revers – höflich Einlaß, schaut der Beamte mißtrauisch, zückt das martialische Walkie-Talkie und berichtet an einen unsichtbaren Dritten, mein erschrockenes Gesicht finster taxierend. Warum diese Geheimnistuerei, was hat man zu verbergen? Werden von hier Sascha Lobos "Spon"-Kolumnen heimlich beobachtet? Lagert hier das Transkript meines aus heutiger Sicht leichtsinnigen Telefonates mit M., in dem ich die US-Kultur pauschal als "ziemlich oberflächlich" bezeichnete? Verstecken sie in ihren endlosen Korridoren gar Kopien meiner SZ-Artikel, die vor der amerikanisch-zionistischen Weltverschwörung warnen? Man muß wahrlich kein Prophet sein, um hier mit "Ja" bzw. "Yes" zu antworten, man braucht nur meinen gesunden Menschenverstand.
Was tun? fragte einst schon der weise Staatsmann Helmut Schmidt. Einbrechen? Zu viele Wachen. Einstweilen bleibt nur der stumme Protest, eine ohnmächtige Wut, ein stiller Schrei. Why? Ach so, die Terroristen. Ich bin aber kein Terrorist, denn Anschläge gibt's bei mir nur auf der Schreibmaschine, wenn Sie verstehen. Trotzdem werde ich permanent beobachtet: Auf der Parkbank gegenüber hält ein Mann die Zeitung verkehrt herum, sieht mir durch ein Guckloch genau in die Augen. Steige ich ins Auto, folgt mir auffällig unauffällig ein dunkler Cadillac. Sitze ich an meinem Schreibtisch, schaut mir der Ressortchef über die Schulter. Für wen arbeitet der Mann? Zur Rede gestellt, gibt er sich irritiert, schickt mich nach Hause. Reichlich kafkaesk das Ganze, wie von George Orwell verfilmt. In unserer schnellebigen Zeit wäre eine Formulierung, die ich gerne noch untergebracht hätte, aber die paßt ja eigentlich immer. Ciao-tschüs aus Köln, und: Bleiben Sie wachsam!
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