Müters Söhne #9
Eigenheiten
"Der Kaffee mundet mir nicht!"
Gideon ist 16 Jahre alt. Seine Mutter Viola Müter schreibt hier im wöchentlichen Wechsel über ihn und ihre anderen zwei Söhne im Alter von 5 und 12 Jahren. Die Mutter nennt sie liebevoll ihre "Mütersöhnchen“.
Gideon besitzt eine eigene Siebträgermaschine. Nichts Aufregendes. Ein Gerät, das preislich im unteren vierstelligen Bereich liegt. Eigentlich steht sie bei uns in der Küche. Nun ist Gideon aber von zuhause abgehauen und hat die Espressomaschine mitgenommen. Er wohnt für ein paar Tage bei meinem Mann, der aktuell in einem Vier-Sterne-Hotel übernachtet. Weil er noch immer Abstand brauche, seitdem ich ihm gebeichtet habe, dass nicht er der biologische Vater unseres jüngsten Sohnes ist, sondern der Mentalist Stefan.
Gideon hat die Wohnung nicht ohne Pathos verlassen. Das ist nicht unüblich. Es gibt Phasen, da kommen ihm die Tränen, wenn er sich in die Küche verabschiedet, um dort seine Lieblingsmeeresfrüchte anzubraten. Dieses Mal erinnerte mich sein Monolog jedoch an seine Hamlet-Darbietung in einer seiner Schultheateraufführungen.
Warum? Ich hatte zwischendurch wieder das Gefühl, ins Koma zu fallen. Auf die schlechte Art. "Aus diesen Gründen erdulde ich dein Verhalten nicht mehr", waren Gideons letzte Worte. "Dir ist der Bezug zur Realität verloren gegangen. Ich kehre zurück, wenn du dich schuldig bekennst." In diesen Momenten bereue ich, dass wir ihn katholisch getauft haben.
Mir fiel es schwer, Gideon in diesem Moment ernst zu nehmen. Wie er mir vorwarf, fernab der Realität zu leben, während er mit beiden Händen seine Siebträgermaschine durch die Tür trug. Ich glaube kaum, dass es im Vier-Sterne-Hotel keine ordentliche Kaffeemaschine gibt. "Der Kaffee mundet mir nicht", beklagte er sich schon als Sechsjähriger, nachdem er zum ersten Mal im Robinson Club am braunen Gold nippen durfte.
Generell muss ich mir nie Sorgen um Gideon machen. Außer, dass er ein Arschloch wird. Die Art von Arschloch, das die Espressomaschine sogar in der Schulcafeteria aufstellt. Und wenn ihm das untersagt wird, mit seinen Freunden in den Hungerstreik geht. Mahlgrad: Pathos. Mal wieder.
Mein Mann und ich haben uns immer gerne hinter Gideons Rücken über seine Eigenarten lustig gemacht. Ich glaube, das Lästern hat uns auch in schwierigen Zeiten daran erinnert, was uns zusammenhält. Als mein Mann seiner Schwiegermutter während Thorbens Gender-Reveal-Party ein erotisches Foto von sich per AirDrop schickte, konnten wir uns im Anschluss immerhin darüber lustig machen, dass Gideon eine allzu gefühlvolle Rede darüber gehalten hatte, dass Gender-Reveal-Partys stereotype Geschlechterrollen förderten.
Ein paar Tage, nachdem Gideon mich verlassen hat, rufe ich meinen Mann an. Erstmal, um ihn zu fragen, ob Gideon tatsächlich bei ihm ist und nicht in irgendeinem Museum übernachtet hat. Seine Antworten sind kühl. Ich wage einen Annäherungsversuch und frage meinen Mann, ob Gideon seine private Siebträgermaschine im Frühstücksraum des Hotels aufgestellt hat. Es wäre nicht das erste Mal. Ich vernehme ein leises Lachen. Es gibt noch Hoffnung.
Die Kolumne von Viola Müter erscheint jeden Donnerstag nur bei TITANIC.
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