Müters Söhne #11
Podcast
Selbstgespräche eines einsamen Wolfs
Henry ist 12 Jahre alt. Seine Mutter Viola Müter schreibt hier im wöchentlichen Wechsel über ihn und ihre anderen zwei Söhne im Alter von 5 und 16 Jahren. Die Mutter nennt sie liebevoll ihre "Mütersöhnchen".
Ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich mal zu Gast in Henrys Podcast sein würde. Das liegt daran, dass ich gerade erst durch Zufall erfahren habe, dass Henry überhaupt einen Podcast hostet. Neulich zitierte mich nämlich seine Französischlehrerin zu einem Krisengespräch in die Schule. Mein Sohn habe Grenzen überschritten; er habe nach der Unterrichtsstunde Anmachsprüche an ihr getestet und sogar versucht, das Ganze heimlich aufzuzeichnen. Als ich Henry mit Tipico-Verbot drohte, gab er schließlich zu: "Das war für meinen Podcast!"
Ich war etwas beleidigt, dass ich so von seinem Podcast erfahren musste. Ich stellte Henry vor die Wahl: "Entweder du lädst mich ein oder du bekommst trotzdem Tipico-Verbot." Schon am nächsten Tag nahmen wir zusammen eine Folge von "Selbstgespräche eines einsamen Wolfs" auf. Beziehungsweise er nahm auf und ich hörte zu. Mich überraschte, dass es nur um das Thema Männlichkeit ging. Ich war auf dem Stand, dass Henry sich nicht für Männlichkeit im Allgemeinen interessiert, sondern nur für die von Andrew Tate.
In der Folge mit mir sollte es um "Mewing" gehen. Henry erklärte mir widerwillig, was es damit auf sich hat. Wer regelmäßig seine Zunge unter den Gaumen presse, bekomme einen definierten Kiefer. Mich ärgerte das. Wenn Henry auch beim Logopäden die mundmotorischen Übungen so ernst nähme, würde er jetzt nicht mehr lispeln. "Es geht darum, in der Männlichkeitshierarchie aufzusteigen." Ich halte das für Unsinn. Wie viele rechte Winkel meine Söhne im Gesicht haben, hat keinen Einfluss darauf, wer von ihnen mein Liebling ist. Die Entscheidung steht eh schon fest.
Ich schweifte gedanklich ab, als Henry immer wieder Begriffe wie Disziplin, Leistung, Verzicht und "Sigma Male" fallen ließ. Letzteren kannte ich, weil er in LED-Buchstaben über Henrys Energy-Drink-Sammlung ragte. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, was "Sigma Male" bedeutet. Je mehr Henry redete, desto mehr ahnte ich, dass er etwas damit zu tun hatte, warum ich während der Aufnahme kaum etwas sagen durfte. Oder warum Henry mir letzte Woche verbieten wollte, mit meinen Freundinnen zu einem Auftritt der Chippendales zu gehen.
Ich frage mich, worum es Henry eigentlich geht. Ist sein Ziel, durch den Podcast in der Schule beliebter zu werden? Beim Völkerball früher gewählt zu werden? Ich glaube nicht, denn dann hätte er mich auch einfach fragen können, ob ich ihm Hallenschuhe von einer teureren Marke kaufen kann. Auch wenn sein Podcast inhaltlich etwas wirr ist: Ich muss zugeben, dass ich neidisch bin. Neidisch, weil Henry etwas Eigenes für sich gefunden hat. Das er für sich behalten wollte, weil es ihm so viel bedeutet. Ich schäme mich, dass ich in seinen Safe Space eingedrungen bin. Das Letzte, was nur mir gehört hat, war meine Affäre mit dem Mentalisten Stefan. Ich vermisse dich, Stefan!
Die Kolumne von Viola Müter erscheint jeden Donnerstag nur bei TITANIC.
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