Mitschuld auf dem Prüfstand
Der Bundesgerichtshof soll heute darüber entscheiden, ob eine Radfahrerin, die von einer geöffneten Autotür aus dem Sattel gehoben wurde, eine Mitschuld an den Unfallfolgen trifft, weil sie keinen Helm getragen hatte – obwohl offiziell gar keine Helmpflicht besteht. Das Urteil könnte neue Maßstäbe in der Haftungsfrage setzen, wie auch die folgenden Fälle befürchten lassen.
Das Landgericht Köln verurteilte einen 72jährigen Rentner aus Brühl, der in den Sog eines durchfahrenden, nicht per Lautsprecherdurchsage angekündigten ICE geraten war und zwei Kilometer mitgerissen wurde, zu einer Mitschuld von mindestens 50%. Begründung: In einem derart dicht besiedelten Gebiet wie der Rheinschiene sei es der Bahn grundsätzlich nicht zumutbar, einen mindestens 1,50 m breiten Bahnsteig bereitzustellen. Außerdem wäre der Unfall einfach und kostengünstig zu verhindern gewesen, wenn sich der Kläger ortsübliche Pflastersteine in seinen Wanderrucksack gestopft hätte. Zusätzlich hätte er sich mit einem handelsüblichen Spanngurt an eine Sitzbank ketten müssen. Die exakte Durchfahrtszeit des Schnellzuges hätte er zudem per Smartphone ermitteln können.
Das OLG Dresden verurteilte jetzt einen 45jährigen Familienvater aus Meißen, der mit seinem Pkw auf einer Elbbrücke unterwegs war, als diese plötzlich unter ihm zusammenstürzte, zu einer Mitschuld von 40%. Aufgrund der angespannten Haushaltslage der öffentlichen Hand müsse ein umsichtiger Autofahrer mit einem solchen Vorfall jederzeit rechnen und daher immer eine Taucherglocke nebst Sauerstoffgerät mit sich führen – oder sich am besten gleich ein Amphibienfahrzeug oder ein Schlauchboot anschaffen. Alternativ sei auch ein Umweg von bis zu 70 km zur nächsten Autofähre zumutbar, dann müßten aber mindestens vier Schwimmwesten im Wagen vorhanden sein.
Das LG Berlin verweigerte jetzt einem 37jährigen Arbeitslosen aus Neukölln den vollen Schmerzensgeldanspruch. Der schmächtige, wenig durchtrainierte und apathisch wirkende Mann wurde von zwei Jugendlichen mit drei Messerstichen ins rechte Bein verletzt. Begründung: Wenn er schon in einem sozial problematischen Stadtbezirk auf die Straße gehen müsse statt in seiner Wohnung zu bleiben und Bewerbungen zu schreiben, hätte er sich zumindest eine in jedem Baumarkt erhältliche Schnittschutzhose, wie sie beim Arbeiten mit der Motorsäge getragen werde, anziehen müssen.
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