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Meditation und Markt mit Dax Werner

Kleines Cancel-Coaching

Liebe Leser_innen,

die Cancel Culture feierte ihren Durchbruch hierzulande nicht zufällig in den Wochen und Monaten der Quarantäne. Die Lockdown-Langeweile hat den kulturellen Diskurs inzwischen vollumfänglich ins World Wide Web verlagert, oder wie ich gerne sage: Ins globale Labyrinth von Bits und Bytes. Und hier ist, das weiß man, meist nicht gut Kirschen essen. Gestritten wird nur noch fernmündlich. Allein: Ein guter Cancel zahlt massiv auf die eigene Brand ein. Deswegen habe ich ein Listicle mit den Grundlagen der Cancel-Ökonomie vorbereitet, damit auch Du schon heute ins Cancel-Business einsteigen kannst und dabei noch Value für Dich und Deine Followers reinbringen kannst. Enjoy!

1. Was ist Cancel Culture?

Wenn man die Suchmaschine anwirft, tauchen bisweilen verschiedene Definitionen auf: "Meinungsdiktatur", "Ende des Liberalismus und der freien Meinungsäußerung", "Karrierenbeender", aber auch "Gespenst" bis hin zu "gibt es gar nicht". Offenbar hängt die Definition sehr stark davon ab, ob man sich politisch eher links oder rechts verortet. Kreiere aus diesem Bug ein Feature, indem Du massig Content zum Thema generierst, ohne Dich festzulegen. Learning: Wenn Du wie ich noch nicht bereit bist für Deine erste Kampagne, verblogge doch zunächst einmal Deine Gedanken zum Thema – Hashtags nicht vergessen!

2. Cancel-Vakuum

Stichwort Timing. Wurde in den vergangenen zwei Stunden schon gegen irgendwen ein Cancel-Versuch unternommen? Nein? Dann ist das hier Dein Sweet Spot: Du befindest Dich im sogenannten Cancel-Vakuum! Aber Achtung: Auch andere Canceller wittern schon ihre Chance. Sei schnell und elegant wie ein Panther, behalte jedoch auch immer die Übersicht wie eine Giraffe oder ein Uhu oder diese eine Vogel, welcher sehr hoch fliegen und gut sehen kann.

3. Choose your enemy wisely!

Vielleicht der wichtigste Gedanke: Ein gelungener Cancel steht und fällt mit dem Gegner. Wenig geeignet sind zum Beispiel Menschen, die man noch für Jobs braucht. Das Internet ist ein noch wirreres und undurchsichtigeres Gestrüpp von Abhängigkeiten als das Weihnachtswochenende daheim bei den Eltern in Saarlouis. Denn am Ende springt ja vielleicht immer noch eine Kolumne raus! Das inkludiert auch Menschen, die ihr halbes Leben lang Geld mit dem fiesesten Schmuddelkram verdient haben und Ende 2019 plötzlich woke wurden. Verbrennt Euch nicht unnötig die Finger! Als Faustregel gilt hier: Nicht zu groß (too big too fail), nicht zu klein. Und das bringt mich direkt zu …

4. Politiker kann man schlecht canceln

Ein Punkt, den ich in meinen Webinars zum Thema immer wieder betonen muss: Politiker sind ein strategisch schlechtes Ziel fürs Canceln, weil sie in aller Regel gar nicht mitbekommen, dass sie gecancelt wurden. Im schlimmsten Fall bereitest Du damit nur dem jeweils zuständigen Social-Media-Team eine schlechte Zeit, also Menschen, die denjenigen, um den es eigentlich geht, vermutlich noch nie persönlich getroffen haben. Wenn Politiker cancelbar wären, warum darf Verkehrsminister Andy Scheuer dann immer noch öffentlichkeitswirksam über die EU-weite PKW-Maut nachdenken? Schachmatt.

5. Zielperson & Quellensichtung

Du hast eine Zielperson identifiziert und genug Material gesichert, mit dem Du gleich drei Karrieren zerstören kannst? Jetzt heißt es, die sozialen Medien zu monitoren: Aus evolutionären Gründen vertragen wir als Gemeinschaft nie mehr als 2, 3 schwarze Schafe gleichzeitig. Versuche, den Sweet Spot (siehe Punkt 2) abzupassen und bereite Deine Tweets und Facebook-Posts schon einmal in Open Office vor. Setze Deine Erwartungen trotzdem fürs Erste nicht zu hoch, denn ...

6. Aufmerksamkeit ist kein Nullsummenspiel!

Viele denken Cancel Culture als eine Technologie, mit der man unliebsame Zeitgenossen komplett aus der öffentlichen Wahrnehmung schießen kann. Ein Trugschluss, wie mir scheint: Einige Künstler_innen haben im Gegenteil sehr vom Gecanceltwerden profitiert und verkaufen zum Beispiel plötzlich wieder viel mehr Harry-Potter-Bücher als vorher! Entlang der Cancel-Wertschöpfungskette bilden sich inzwischen einige ausschließlich auf Cancel-Promo spezialisierte Agenturen im Raum Düsseldorf und Köln heraus. Richtig ist jedoch auch: Die eigene Reichweite lässt sich mit einer sauber gearbeiteten Cancel-Kampagne ordentlich boosten. In der klassischen Ökonomie sprechen wir hier von Win-Win.

7. Das Poschardt-Paradox

Als Chefredakteur der meistgelesenen Zeitung aller Zeiten musst Du natürlich auch einen Angle zum Thema Cancel Culture entwickeln, immerhin verbringst Du den Großteil Deiner Arbeitszeit auf Twitter. Doch Vorsicht: Wenn Deine einzigen Antworten aus GIFs, Freiheitsstatuten-Emojis und immer wilderen Die-Meinungsfreiheit-ist-bedroht-Meinungsstücken bestehen, hängst Du schneller am Empörungstropf, als Dir lieb ist. Und dann ist da ja auch noch der kaum noch zu bändigende Goblin vom Tegernsee … Ganz ehrlich, warum es sich nicht einfach machen, die Twitter-App löschen und zweimal die Woche mit Ijoma Mangold und Giovanni di Lorenzo gemütlich auf Facebook diskutieren?

Nun denn, ich hoffe, Ihr habt ein, zwei schöne Gedanken mitnehmen dürfen. Denkt immer daran: Panta rhei. Alles fließt.

Euer Dax Werner

Kategorie: Meinung



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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Du, »MDR«,

gehst mit einer Unterlassungserklärung gegen die sächsische Linke vor, weil die im Wahlkampf gegen die Schließung von Kliniken plakatiert: »In aller Freundschaft: Jede Klinik zählt.« Nun drohen juristische Scharmützel nebst entsprechenden Kosten für beide Seiten. Wie wäre es, wenn die Linke ihr Plakat zurückzieht und im Gegenzug nur eine einzige Klinik schließt? Die Ersparnisse dürften gewaltig sein, wenn die Sachsenklinik erst mal dichtgemacht hat.

Vorschlag zur Güte von Deinen Sparfüchsen von Titanic

 Also echt, Hollywood-Schauspieler Kevin Bacon!

»Wie wäre es eigentlich, wenn mich niemand kennen würde?« Unter diesem Motto verbrachten Sie mit falschen Zähnen, künstlicher Nase und fingerdicken Brillengläsern einen Tag in einem Einkaufszentrum nahe Los Angeles, um Ihre Erfahrungen als Nobody anschließend in der Vanity Fair breitzutreten.

Die Leute hätten sich einfach an Ihnen vorbeigedrängelt, und niemand habe »Ich liebe Dich!« zu Ihnen gesagt. Als Sie dann auch noch in der Schlange stehen mussten, um »einen verdammten Kaffee zu kaufen«, sei Ihnen schlagartig bewusst geworden: »Das ist scheiße. Ich will wieder berühmt sein.«

Das ist doch mal eine Erkenntnis, Bacon! Aber war der Grund für Ihre Aktion am Ende nicht doch ein anderer? Hatten Sie vielleicht einfach nur Angst, in die Mall zu gehen und als vermeintlicher Superstar von völlig gleichgültigen Kalifornier/innen nicht erkannt zu werden?

Fand Sie nicht umsonst in »Unsichtbare Gefahr« am besten: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
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