Meditation und Markt mit Dax Werner
Irgendwo in Gütersloh
Liebe Leser*innen,
TITANIC-Boss Moritz Hürtgen zwitscherte es gestern auf den Punkt: "Wie unsere Leserschaft wüsste auch ich gerne, wie es vor Ort aussieht – aber als Chefredakteur kann ich es aktuell nicht verantworten, einen meiner Reporter ins völlig zerstörte Stuttgart zu schicken." Auch das Satiregeschäft, das macht Hürtgen hier deutlich, ist ein immerwährendes Austarieren von der Pflicht, zu sagen, was ist, und dem Schutz der eigenen Mannschaft. Nach den Jahrhundertkrawallen im Ländle vorerst auf Berichterstattung aus BaWü zu verzichten? Klare Kiste, wenn natürlich schweren Herzens.
Parallel brennt aber auch in NRW der Buchsbaum, genauer: in Gütersloh. Aufgrund des Corona-Ausbruchs in der Wurstfirma von Schalke-Mäzen Clemens Tönnies hat NRW-MP Laschet den Lockdown über den gesamten Kreis verhängt. Macher-Politik mit dem ganz großen Pinsel. Als Nordrhein-Westfale, der um sein Bundesland bangt und Gütersloh zumindest schon mal gehört hat, empfinde ich es aller Sicherheitsbedenken zum Trotz als meine Pflicht, zu berichten. Koste es, was es wolle.
Wie geht man so eine Aufgabe an? Es beginnt mit Arbeit am Mindset, ich nenne es den "Jenke von Wilmsdorff-Modus": Reingehen in das Auge des Orkans, dem möglichen Tod ins Auge sehen, Last-Man-Standing-Vibes. Das heißt konkret: Mund-Nasen-Bedeckung – oder wie wir am Niederrhein sagen: Bürgermaulkorb – aufgesetzt und ab in den Livestream der Laschet-Pressekonferenz auf WDR Aktuell. Irgendwie hat sich eine Ton-Bild-Schere in den Stream geschlichen, oder haben unseren MP die letzten Wochen einfach zu sehr mitgenommen?
Nein, davon kann keine Rede sein. Rein nonverbal steht der Ministerpräsident wieder mit beiden Beinen im Saft, erinnert zeitweise an den Law-and-Order-Laschet aus dem Landtagswahlkampf 2017: Impulsivität, Furor, hohe sexuelle Energie. "Hier ist einer bereit, den Kampf gegen die Chinaseuche aufzunehmen", notiere ich nachdenklich in mein Notizbuch. Dann ein neuer hübscher Gedanke: Die Pandemie als endlose Aneinanderreihung von Pressekonferenzen, der Ausnahmezustand als new normal. Auch das notiere ich fix, vielleicht lässt es sich irgendwo noch für 50 Euro verbloggen.
Zurück nach Gütersloh. Laschet dreht jetzt voll auf, legt sich sogar mit dem Wurstmagnaten an, poltert: "Die Kooperationsbereitschaft der Firma Tönnies hätte größer sein können." Ein Statement, das seine ganze Power erst entfalten kann, wenn man die rund 150 000 Euro, die Tönnies in den letzten letzten 15 Jahren an die CDU überwiesen hat, einpreist. Showdown im Regierungsbezirk Detmold?
Armin Laschet will es jetzt offenbar wissen, deutet mögliche Schadensersatzzahlungen von Tönnies nach der Krise an. So ergibt auch die bereits vor ein paar Tagen hinzugezogene Bundeswehr in Gütersloh Sinn: Der MP will Stärke gegen den Fleischmagnaten demonstrieren; es sind Szenen, die an das von Pablo Escobar terrorisierte Kolumbien der Achtziger- und Neunzigerjahre erinnern. Unschöne Bilder, ein Mexican Standoff mitten in Westfalen. Eines ist mit dem heutigen Tag und den markigen Sprüchen des MPs gewiss: Laschet hat das Kanzleramt noch nicht abgeschrieben. Doch sein Weg nach Berlin führt über ein erfolgreiches Containment der Wurstfabrik und damit über: Clemens Tönnies. Vielleicht entscheidet sich das politische Schicksal des Aacheners in den kommenden Tagen genau hier, im Regierungsbezirk Detmold: Irgendwo in Gütersloh.
Euer Dax Werner
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