Meditation und Markt mit Dax Werner
Mit dem Selbstgebrannten in Davos
Das sagenumwobene World Economic Forum in Davos. 60 Staats- und Regierungschefs, 1200 Vertreter der Zivilgesellschaft und mittendrin für Sie, liebe Leser: Dax Werner auf der Suche nach den heißesten Storys vom Gipfel. Investigativ und mit klarer Kante zu sagen, was ist, das soll für diesen Ausflug mein Motto sein. Als ich mich mit einer bereits deutlich fortgeschrittenen Alkoholfahne vom morgendlichen Snowboard-Ausflug mit DJ Bobo (Mit-verbundenen-Augen-das-Jakobshorn-Runterjagen-Challenge) zwischen Manfred Weber und Ursula von der Leyen auf den letzten freien Platz in der vierten Reihe drängle, läuft die Rede vom neuen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro („Hoffnungsträger der Märkte“, Deutsche Bank) angeblich schon zehn Minuten. Zischt mir zumindest Weber zu, der genauso wie von der Leyen mit feuchten Augen den Überlegungen des smarten Reformers aus Brasília folgt. Sind die beiden jetzt schockiert oder angezündet von den Ideen des Brasilianers? Ich verstehe vielleicht kein Portugiesisch, habe aber trotzdem ein Gefühl dafür, worum es gerade gehen könnte, und lehne mich rüber zu von der Leyen: „Sag mal, hattest du auch den Tweet von Daniel Mack gelesen die Tage? ‚Der Kapitalismus ist der größte der Friedensbringer der Welt‘. Fand ich irgendwie 'nen spannenden Gedanken.“ Gerade setze ich an, noch ein paar Beobachtungen zur Fav-Retweet-Ratio nachzuschieben, als von der Leyen Blickkontakt mit ihrem Leibwächter aufnimmt. Ich lehne mich zurück und sondiere zunächst einmal die Lage im Zuschauerraum, Stichwort: Mal gucken, was ist.
Die Enttäuschung darüber, dass neben Theresa May und Emmanuel Macron auch Donald Trump seine Teilnahme beim entspannten Get-Together in Davos abgesagt hat, merkt man der Stimmung doch sehr deutlich an: Viele gucken ziemlich ernst, es wird kaum getrunken. Dabei hatte ich mir gestern noch mit zwei Spezis vom „Handelsblatt“ extra am Zürcher Flughafen 500 MB Datenvolumen für umgerechnet nur 2000 Euro gekauft, um im Fall der Fälle direkt auf Instagram live gehen zu können, falls der Irre aus Washington wieder eine seiner berühmten spontanen Nummern on stage bringt. Da wird ja jetzt leider nichts daraus.
Der Typ auf der Bühne redet immer noch und mir ist richtig langweilig. Ich krame mein Handy aus der Fischer-Snowboard-Tasche, die ich unter die Stühle von Weber und Joe Käser neben ihm verstaut hatte, und drücke mir statt der Bolsonaro-Keynote nochmal den Innovations-Podcast von Christian Lindner und Frank Thelen aus der KW 48 vom letzten Jahr ins Ohr. Auch beim zwölften Mal Anhören immer noch intellektueller Genuss pur: Zwei Machertypen träumen die Zukunft des Bildungsstandorts Deutschland, keiner nervt mit Verlierer-Themen wie Tempolimit, Kohleausstieg oder Klima, das permanente Geduze – dieses Podcast-Juwel ist für mich nicht weniger als 42 Minuten gelenkter Innovations-Traum. Manche Stellen kann ich schon mitsprechen, und irgendwie rutscht mir da wohl auch was raus, jedenfalls kassiere ich schon wieder einen entgeisterten Blick von Weber. Ich genehmige mir einen Schluck aus meinem Krokodilleder-Flachmann (Trinken, was ist) und biete ihm als Entschuldigung auch was vom kroatischen Selbstgebrannten an, doch Manfred winkt genervt ab – wohl zu viele Kameras hier, ich versteh' schon und klopfe ihm buddymäßig auf die Schulter. „‚Kandidat auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten genehmigt sich vor versammelter Mannschaft den Klaren in Davos‘, so'n Ding geht natürlich sofort durchs Netz, davon erholt sich keiner mehr“, flüstere ich fachmännisch in Richtung Ursula, um sie doch noch mal ins Gespräch zu holen (Socializing). Doch weder sie noch Manfred scheinen mir noch zuzuhören. Dann schlafe ich betrunken ein.
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