Inside Rote Flora
Sie ist in diesen Tagen Symbol für die sinnlose Gewalt gegen eine unmenschliche Weltordnung: die Rote Flora in Hamburg, besetzt seit 1989, Zentrum der Autonomen. Viele haben darüber geschrieben, nur wenige sich selbst ein Bild gemacht. TITANIC war für Sie in der linken Herzkammer der kommenden Revolution.
Vor dem Eingang der Flora spielen rotgebrannte Kinder mit herumliegenden Pflastersteinen in der Abendsonne Demonstrant und Gendarm und tun sich dabei gegenseitig tüchtig weh. Es ist wieder Alltag eingekehrt in der Sternschanze, erstaunlich schnell wurde das Viertel neu aufgebaut, nachdem es linksextreme Krawallmaschinen bei den Protesten gegen den G20-Gipfel "in Schutt und Asche" (Quelle: Facebook) gelegt hatten. Angeblich waren Bewohner der Flora an den Ausschreitungen beteiligt, doch sind radikale Gegner der herrschenden Besitzverhältnisse mit einem ganz eigenen Verständnis von Eigentum wirklich zu solch unmenschlichen Gewalttaten fähig?
Von außen zumindest wirkt das Gebäude durch und durch friedlich. Einzig die zahlreichen Graffiti an der Fassade lassen auf die kriminelle Energie schließen, die hier herrschen könnte. "Hallo, schön, daß ihr gekommen seid", begrüßt uns Jutta. Jutta ist so etwas wie die gute Seele der Flora. Bei ihr laden die oft jungen Szeneaktivisten ihre Sorgen ab, seit zwanzig Jahren hört sie sich die immergleichen Geschichten von Liebeskummer und kaputten Sonnenbrillen an. Sie ist auch da, wenn nach einer durchzechten Nacht mal etwas "danebengeht". Jetzt sitzt Jutta in der großen Küche der Flora und erzählt von damals, wie sie zuerst in Berührung kam mit den Ideen von Sachbeschädigung und Gewalt gegen Polizisten. Es sieht gut eingelebt aus hier. Die Wände wurden vor langer Zeit in bunten Farben gestrichen, vergilbte Poster von "Pulp Fiction", "Fear and Loathing in Las Vegas" und Che Guevara hängen daran. In der Kochzeile bereiten ein paar langhaarige junge Menschen mit einem Pürierstab vegane Brotaufstriche zu; aus einem tragbaren CD-Spieler scheppert "Light My Fire" von den Doors. Der einzige Umsturz, der hier derzeit geplant wird, scheint der des roten Wackelpuddings auf dem Fenstersims zu sein.
Doch nach der G20-Katastrophe fordern zahlreiche Politiker die Schließung der Flora. Statt einer Oase alternativer Widerstandskultur gegen die Herrschaft des Kapitals sehen sie in dem besetzten Haus eine Keimzelle linksextremer Zerstörungsorgien. Etwas mehr als einen Steinwurf entfernt, plant man bei der Polizei den Aufstand gegen die kommunistische Gesinnungsdiktatur der Flora, mit der diese ein ganzes Stadtviertel kaputt und lebenswert machen will. "Die Besetzung muß ein Ende haben, ganz einfach", bringt Polizeihauptkommissar Mirco Stoever die Sache auf den Punkt. "Und da uns die Anarchos ihr kulturelles Kapital nicht freiwillig überlassen werden, bedarf es des bewaffneten Widerstands durch unsere Ordnungskräfte gegen das Schweinesystem der Flora!" Eine regelrechte Revolution des Stadtteils schwebt Stoever vor, an deren Ende jeder Polizist ohne Angst verschiedene Autonome verprügeln dürfen wird.
In der Flora sieht man solchen Ideen gelassen entgegen. Die langhaarigen jungen Leute kündigen aufgeregt an, sie würden jetzt "eine Runde spazieren gehen" und Jutta kurz mitnehmen. Wenige Minuten später kommen die Spaziergänger mit glasigen Augen und ständig kichernd wieder – wie sich später herausstellt, haben sie draußen Marihuana geraucht. Wurde der Linksextremismus in den letzten Jahren doch verharmlost? Jutta gerät bei dieser Frage ins Schlingern, hört zwischendurch auf zu reden und starrt minutenlang in die Tischkerze. Am Ende, so gibt sie schließlich zu, sei das "alles echt megakomplex", weil ja "alles mit allem" zusammenhänge; ihr und "den meisten anderen roten Socken" gehe eigentlich auch nur darum, "eine gute Zeit" zu haben und "die da oben ein bißchen zu ärgern." Inzwischen steht ein Sixpack Oettinger Radler auf dem Tisch, die Musik scheppert lauter, der Nahostkonflikt wird diskutiert. Schnell sind die Fronten verhärtet, Antideutsche und Antiimps stehen einander unversöhnlich gegenüber. Plötzlich klingelt es, es ist die Polizei. Die Nachbarn hatten sich wegen der Lärmbelästigung beschwert.
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