Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (65)
Es war aber vielleicht auch anmaßend, Gernolf generell und einfach so schlechte Laune zu unterstellen, er war ja kein Miesepeter by nature; es war nur so, daß – dies jedenfalls Kurtchens Eindruck spätestens seit dem Zwischenfall in der Extra Bar – Gernolf schon stabilere Zeiten erlebt hatte, was sicher damit zusammenhing, daß er aus dem Alter, wo man, und sei's bloß klandestin, Schriftsteller sein darf, obwohl man bloß für die Schublade schreibt, eben raus war; und daß das Gelegenheitsgejobbe eines verhinderten Poeten mit 40 nur noch halb so romantisch ist wie mit 20. Vielleicht tat Kurtchen dem Freund auch unrecht, wenn er ihm lediglich die schlechte Laune abkaufte und die gute für eine Kompensationsleistung hielt, aber er kannte ihn jetzt lange genug, um zu wissen, daß das Leben, das Gernolf führte, mit dem, das er zu führen wünschte, nichts zu tun hatte.
Schön, das hatte es in den seltensten Fällen, und hätte man Kurtchen vor zwanzig Jahren ein Video gezeigt mit ihm als zwanzig Jahre Älteren in der Hauptrolle, er wäre wahrscheinlich erschrocken gewesen, einen vollschlanken Klempner in einer heruntergewohnten Schrottwohnung zu sehen, der am späten Vormittag im Pyjama Duplos frühstückte und per Telefon komplizierte Saufverabredungen traf. Trotzdem war es ihm gelungen, an seiner Art von Existenz ein poetisches Genügen zu finden, nicht zuletzt deswegen, weil er einen Beruf hatte und die künstlerische Selbstverwirklichung nichts mehr war, was als Tagesaufgabe ganz oben auf dem Zettel stand. Kurtchen war etwas, er war Klempner, vielleicht kein guter, sicher ein einigermaßen überqualifizierter (was in diesem Fall kein Widerspruch war, sondern sich bedingte), aber ein Klempner, der im Telefonbuch stand und der für eine Leistung Geld in Anspruch nehmen konnte, der sogar, weil selbständig, eine Leistung verweigern durfte, wenn ihm danach war. Und wenn er kein Schriftsteller war, so war er es eben nicht und konnte in Ruhe darauf warten, es vielleicht doch noch zu werden. Gernolf aber (und Kurtchen fiel es nicht leicht, das zu denken, tat es aber doch, weil's stimmte) war verkracht. Er hatte seit Jahren nichts veröffentlicht (seit seinem Erstling nämlich, auf den ein Amazon-Rezensent mit der Bemerkung reagiert hatte, er werde in Zukunft wieder häufiger fernsehen), und an den Groß- und Spitzenroman, den er vor Jahren einmal angedeutet hatte, glaubte er am Ende selbst nicht mehr, dazu redete er zuviel über Literatur, allerdings von fremder, die er fast rundheraus ablehnte, was Maßstäbe indizierte, an denen zu scheitern entweder tragisch oder Absicht war. Und auch die mehr oder minder explizite Verachtung, die Gernolf für Fred übrig hatte, weil der nämlich wußte und bewies, daß ein Schriftsteller nur einer ist, der Bücher schreibt und sie veröffentlicht, mochte ein Hinweis sein darauf, daß sich hier jemand verrannt hatte, und zwar schon ziemlich heillos.
Kurtchen ließ mit Wonne einen fahren, und es klang, wie ihm sogleich auffiel, nach Bekräftigung und Ironisierung gleichzeitig. Es roch auch so. (wird fortgesetzt)
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