Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (64)
Kurtchen, der schon aus Gründen der guten Gewohnheit auf der Klärung des Sachverhalts nicht hätte bestehen müssen, zögerte nun aber doch, diese Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, zu staunenswert war die Möglichkeit, Gernolf könnte von einer Buchannonce so schlecht geworden sein, daß er sich hatte übergeben müssen, und das hatte Kurtchen ja nun noch nie gehört. Wie immer in solchen Zusammenhängen erinnerte er sich an den Himmel über Berlin, den einzigen Film, vor dem er im Kino jemals kapituliert hatte, er sah sich noch immer als Halbwüchsiger über die Lehnen der letzten Sitzreihe ins Freie klettern, was in diesem kleinen Programmkino möglich war, weil die Bestuhlung nicht an der rückwärtigen Wand, sondern ein paar Meter vorher endete. Er wußte nach wie vor nicht, ob das nun ein Zeichen überlegener Frühintellektualität oder pubertärer Doofheit gewesen war, und es wäre noch immer leicht zu überprüfen gewesen, doch wann er immer diesen Gedanken hatte, sah er vorm geistigen Auge einen schwarzweißen Bruno Ganz mit Flügeln, der unfroh in den Westberliner Himmel sah, und vergaß sein Vorhaben.
Jedenfalls hatte er selbst damals nicht gekotzt, obwohl zu jener Zeit das Brechen Teil der Abendvergnügen und also nicht unüblich gewesen war.
"Aaaaah, fuck", fuhr Gernolf Kurtchen in die soeben Fahrt aufnehmende Mentalparade. "Sollen wir frühstücken? Im Zoo-Café? Halbe Stunde?"
"Stunde", sagte Kurtchen, der ja immer noch nicht angezogen war, und überlegte rasch, ob er die Ausflugs-Affaire noch bis dahin ungeklärt bleiben lassen sollte; aber es war dies nicht recht praktikabel, vor allem nicht für den Freund. Er setzte Gernolf also in aller Kürze über den geplanten Nachmittag ins Bild und vermied auch nicht, auf Freds Anwesenheit hinzuweisen, fügte aber schnell noch hinzu, daß auch mit Irgendwie-Heiner unbedingt zu rechnen sei, den heiklen Punkt also nach Kräften unter Vermischtem verbergend.
"Aha", machte Gernolf nur, und es klang eigentlich neutral, und Kurtchen war erleichtert, und zwar auf eine Weise, die ihn fast ärgerte. Was gingen ihn, noch einmal, die Händel der anderen eigentlich immer an?
"Muß ich das irgendwie gleich wissen?" fragte jetzt Gernolf, und Kurtchens Erleichterung saß unversehens fest im Sattel, denn der parodistische Spaß an Irgendwie-Heiners Fehlfunktion überwog eindeutig einen möglichen Ärger über Fred, was Kurtchen als Zeichen nahm, daß an der Geschichte, Gernolf habe Freds Frau gefickt, letzten Endes doch nichts dran sei.
"Laß uns doch irgendwie erst mal frühstücken", alberte Gernolf weiter, "dann können wir ja irgendwie sehen, irgendwie. Im Moment bin ich irgendwie gar nicht so drauf, um irgendwie Ausflüge zu unternehmen..."
"... ist ja auch irgendwie kein Ausflug", half Kurtchen gern.
"...aber später irgendwie vielleicht irgendwie ein Bier trinken", ließ Gernolf sich nicht bremsen, "irgendwie draußen, is vielleicht irgendwie doch ganz okay. Laß uns aber erst mal frühstücken. Bis gleich."
"Bis gleich, irgendwie", scherzte Kurtchen lahm.
"Nix irgendwie, ich hab Hunger, mach hin!" rief der Freund und ließ abermals den Hörer fallen, diesmal aber auf die Gabel und sowieso nur metaphorisch.
Hätte Kurtchen es nicht besser gewußt, er wäre sicher gewesen, Gernolf habe gute Laune. (wird fortgesetzt)
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