Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (11)
Nein, dachte Kurtchen und kam wie von ungefähr zu einem archimedischen Punkt seiner Weltanschauung: Kluge Menschen erkennt man daran, daß sie die Klappe halten können; und eben nicht ein ICE-Ruheabteil betreten, um sofort ihr Multifunktionstelefon auszupacken und loszudumpfen – den jungen Mann mit der Bundeswehrfrisur hatte Kurtchen auf seiner Fahrt zur Fortbildungsveranstaltung "Durchlauferhitzer II: Methodik und Konsequenzen" bloß deshalb nicht zurechtgewiesen, weil sich das Telefonat faszinierenderweise um einen Personalausweis drehte, den der halberwachsene Esel ausdauernd "BPA" nannte: Alles, klagte er wie trainiert, hänge von seinem BPA ab bzw. es komme darauf an, wann ihm endlich sein BPA ausgehändigt werde, "ohne BPA" sei er ja "praktisch bloß ein halber Mensch", und "von daher" könne er bis auf weiteres in keine Urlaubsplanungen einsteigen, was er "der Caro auch schon gemailt" habe etc.; und Kurtchen hatte aber damals im Abteil schon gezweifelt, ob das hörbare Fehlen der Hälfte dieses ungünstigen DNS-Zufalls tatsächlich durch einen Bundespersonalausweis, und sei es auch einer der neuen vollelektronischen, tatsächlich kompensiert werden könnte.
Kurtchen spürte, daß er annähernd durch sei mit der täglichen alltagskulturkritischen Bestandsaufnahme; und daß er sich, wie in letzter Zeit häufiger, bloß vor dem Feierabend drückte, den er zuhause in seinen tadellos aufgeräumten zwei Zimmern (das war wichtig, um nicht vollends den Überblick zu verlieren) mit unangenehmen Anrufen verbringen mußte, so ihm nicht noch rechtzeitig was Gescheites einfiel. Aber wann war ihm zuletzt schon was Gescheites eingefallen? Kurtchen kramte sein Notizbuch aus der Tasche und besah sich einen der zahlreichen Einträge, derenbezüglich er nicht die Spur einer Ahnung hatte, wann und unter welchen Umständen sie erfolgt waren; noch, was sie eigentlich bedeuten sollten:
"Wie lang ist der Schwanz von Nelson Mandela? Erinnerungen"
– vielleicht, dachte Kurtchen, könnte er ja wirklich mit einer Autobiographie beginnen, der Arbeitstitel war ja schon mal spitze, er würde gleich Gernolf in die Kneipe bestellen und sich mit ihm in ein Projektgespräch vertiefen, das, wenn auch sonst nichts dabei herauskäme, immerhin eine Quittung fürs Finanzamt abwürfe. (wird fortgesetzt)
◀ | Lange Wartezeiten für Autokäufer | Die überfällige Meinung | ▶ |
Newstickereintrag versenden…