Gärtners versöhnliches Jahresendfrühstück, feat. DJ Prantl: Angel of the Year
Gewaltig endet so das Jahr / Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten / Rund schweigen Wälder wunderbar / Und sind des Einsamen Gefährten – muß es, wo der Herrgott das alles so golden eingerichtet hat, nicht auch einmal gut sein mit dem ewigen Geschimpfe wider die Mißstände allerorten, wie sie die Menschlichkeit herausfordern, die Zivilgesellschaft um den wohlverdienten Schlaf bringen und, horribile dictu!, das Konsumklima eintrüben? „Besinnlichkeit“, dieses Wort, das die Siebengescheiten stets nur mit wohlfeiler Ironie verwenden, hat es denn nichts für sich, wenn es Besinnung anmahnt, das Einhalten, die Einkehr in jene stille Schänke, die, glauben wir dem Dichterfürsten Gerhard Trakl, für Einsames ebenso zuständig ist wie die wunderbar schweigenden, wenn auch unterm Klimaschockdezember ächzenden mitteleuropäischen Wälder?
Und so sitzen wir und atmen durch und machen uns so unsere Gedanken; oder das, was wir dafür halten: „An Weihnachten, dem Fest also, an dem die Engel in den Tannenzweigen landen und vor und über den Krippen die frohe Botschaft verkünden, könnte man es sich zur Übung machen, den ,Engel des Jahres’ zu wählen und sich dabei von Bildern inspirieren zu lassen – von Raffael, Rembrandt, Chagall oder Anselm Kiefer. Das wäre eine multikulturelle Übung, denn Engel sind keine christliche und jüdische Spezialität; sie finden sich auch auf Bildern, auf denen man Mohammed in den Himmel reiten sieht“, wie sie sich auch finden in der unvergessenen TV-Serie „Drei Engel für Charlie“, wo fürwahr drei Engel die wirklich frohe Botschaft verkünden, daß es nur einer beherzten männlichen Stimme bedarf, um junge flotte Weiber tanzen zu lassen …
Aber lassen wir uns die Hose nicht eng werden und kehren wir zurück zu den „Ereignissen von 2015“ und der nun wirklich sehr guten, dringend nötigen Frage nach dem Engel des Jahres: „Wer den Terror und die Grausamkeiten des IS vor Augen hat, das Elend der Flüchtlinge und den Absturz des Germanwings-Flugzeugs in den Meeralpen – der wird für ein Bild des finnischen Malers Hugo Simberg votieren. Es heißt ,Der verwundete Engel’, hängt im Ateneum in Helsinki: Man sieht einen jugendlichen Engel, von zwei Jungen auf einer Bahre getragen; er hat eine Binde über den Augen, auf den Flügeln finden sich Spuren von Blut.“ Das klingt schlimmer, als es ist (Google-Bildsuche!), Chagall, machen wir uns da nichts vor, wäre in jedem Fall das größere Unglück, und womit wir es hier zu tun haben, das ist „ein trauriges Bild, ein Bild vom Versagen eines Schutzengels. ,Fürchtet euch nicht!’, sagt der Weihnachtsengel im Evangelium. Beim Bild des Malers Simberg fürchtet man auch um den Engel.“
„Es ist der Liebe milde Zeit. / Im Kahn den blauen Fluß hinunter / Wie schön sich Bild an Bildchen reiht / Das geht in Ruh und Schweigen unter.“ Trakl, 1913
Yeah. Der arme Engel! Wer hat ihm bloß ein Leids getan? Der IS? Putin? Die rechtsextremen Nazis von Dresden? Sie alle haben schließlich Angst, und Angst, das wußte schon Heribert Grönemeyer, „kriegt klein“. In anderen, noch schöneren Worten: „Angst erschüttert, sie zwingt Fragen auf: Was ist so kostbar, daß man Angst hat, es zu verlieren?“ Antworten wie „der Arbeitsplatz“, „das Kind“ oder „100 000 Euro“ griffen dabei freilich zu kurz. Denn „Angst ist eine Unterbrechung, die wichtig ist – auf daß man dann die richtige Entscheidung trifft“. Und eben nicht mit 200 Sachen durch die Baustelle brummt! „Diese Angst ist eine andere als die neuen deutschen Ängste, die gern zu ,diffusen Ängsten’ kumulieren; diese Pegida-Ängste erweisen sich bei näherer Betrachtung nur als rassistische Ressentiments. Sie sind die Schafspelze, die sich der Haß umhängt, um Wolfsgedanken zu verbreiten. Engel erregen Furcht, keine diffusen Ängste. Sie fordern auf, Furcht zur Besinnung zu nutzen und so zu überwinden.“
Genau. Und mag hier der geschulte, ungünstigstenfalls agnostische Zeitungsleser auch innehalten und sich füglich fragen: WTF?!!, so müssen wir, am Ende dieses bald himmlischen, bald teuflischen, sogar wölfischen Jahres (im Schafspelz) doch eines ganz klar sehen: „Engel sind keine Krisenmanager.“ Ausnahme: die Kanzlerin, dieser von der Vorsehung geschickte „Engel auf Erden“ (ZDF, 1984–1989).
So kann, so muß es weitergehen. Und so wird es auch weitergehen, ein SZ-Abo vorausgesetzt. In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund. Grad obenrum.
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