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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Willy wählen

In der Vergangenheit, da ist es schön, vor allem deshalb, weil sie vergangen ist, und wenn der Journalist, weil er über Egon Bahr schreibt, der Willy Brandts einziger Freund gewesen sein soll, einen Blick in diese wunderbare Vergangenheit wirft, dann schreibt er, Willy Brandt, der nächste Woche hundert Jahre alt geworden wäre, sei der Deutschen „Herzensbundeskanzler“.

Es ist für den professionellen Preßnutzer ja ein natürlicher Reflex, „Stimmt das?“ zu fragen, und Herzensbundeskanzler, das klingt nach einem, den „die Deutschen“ (Guido Knopp) bis heute verehren, so wie sie Bismarck bis heute verehren und Adenauer, und wie Willy Brandt da hineinpaßt, das fragt man sich.

Vielleicht insoweit, als er, was unter dem Eindruck des sagenhaft liberalen Demokratie-Wagnis-Eingehers gern verschütt' geht, ein strammer Antikommunist, Kalter Krieger, ja sogar „Chauvinist“ (The New Statesman) gewesen ist, für den Ulbricht „Moskaus Kettenhund“ war und nicht der Vernunftpolitiker, als den Sebastian Haffner ihn gelobt hat, einer nämlich, der, ganz untypisch für die deutsche Nachkriegspolitik, fest im Auge hatte, was für einen deutschen Nachkriegspolitiker „in Reichweite“ (Haffner) war und was nicht. Die Wiedervereinigung war es damals nicht, was Brandt, hierin durchaus unvernünftiger als Ulbricht, mindestens in seiner Zeit als Regierender Bürgermeister West-Berlins nicht sah, sondern lieber von der Zeit ramenterte, in der das Brandenburger Tor kein Grenzbauwerk mehr wäre. Als es das tatsächlich nicht mehr war, wuchs dann zusammen, was nach Brandts Ansicht zusammengehörte, und es muß Spekulation bleiben, wieviel Freude Brandt, der 1992 starb, am neuen Berliner Großdeutschland gehabt hätte, an den Kriegen bzw. „Auslandseinsätzen“, der Verhöhnung der Armen und Schwachen, der knallharten Klassen- und europäischen Hegemonial- und Knebelpolitik.

„Mein eigentlicher Erfolg war, mit dazu beigetragen zu haben, daß in der Welt, in der wir leben, der Name unseres Landes und der Begriff des Friedens wieder in einem Atemzug genannt werden können.“ Brandt, 1989

Willy Brandt war, das unterschlägt (oder begründet?) die Verklärung, eine Episode. Seine Kanzlerschaft währte keine fünf Jahre. Im Amt vorausgegangen war ihm ein alter Nazi, im Amt folgte ihm der „Macher“ Schmidt, der die Sozialdemokraten dahin rückte, wo sie bis heute stehen, nach rechts nämlich, der „Rüstungslücke“ und Nato-Doppelbeschluß erfand, dem freien marktwirtschaftlichen Wettbewerb das Hohelied sang und das bekannte Problem mit den Visionen hatte. Im Stich gelassen von den eigenen Leuten, die doch angetreten waren, „das moderne Deutschland“ zu schaffen, war Brandt zurückgetreten, und was von ihm neben Radikalenerlaß, Ostpolitik und der „Jahrhundertgeste“ (Jürgen Roth) des Warschauer Kniefalls blieb, war die Rolle als Frühstücksdirektor und Popstar, wenn auch einer von denen, die ausschließlich für ihre alten Platten geliebt werden.

Ein Halbjahrzehnt lang war Deutschland so modern, wie es nach zwanzig Jahren unter Konservativen und alten Kämpfern werden konnte (und allerdings mußte), und wenn der Biograph Hofmann in einer Fernsehdoku die Überzeugung vertrat, Brandts Kanzlerschaft sei „unvollendet“ geblieben, so hat er ganz unrecht: Mehr Brandt war in diesem Land gar nicht drin, und mehr Brandt hat das Land auch gar nicht gebraucht, um vom beargwöhnten Exportweltmeister zum anerkannt demokratischen Musterbetrieb zu werden. 1979, ein weiteres Halbjahrzehnt später, wird, 34 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und neun Jahre nach Brandts Kniefall, das ehemalige Mitglied von Reiter-SA und NSDAP Dr. Karl Carstens zum Bundespräsidenten gewählt. Drei Jahre später endet die sozialliberale Ära, und der Deutschen Herzensbundeskanzler ist heute nicht der uneheliche Emigrant, Melancholiker und Antifaschist Brandt, sondern des Führers treuer Oberleutnant Helmut Schmidt.




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Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.05.2024 Wien, Rabenhoftheater Max Goldt
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«