Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Werte? Ordnung!
Der Islam, sagt die Kanzlerin, soll jetzt also mal in sich gehen und sein Verhältnis zur Gewalt klären, denn Islam und Islamismus, steht in der Zeit (und vielerorts sonst), haben eben doch mehr miteinander zu tun, als die moderaten Muselmanen uns weiszumachen versuchen. Der frische Focus hat „dementsprechend“ (Matthias Sammer, FC Bayern) dies auf dem Titel: „‚Das hat nichts mit dem Islam zu tun’ – Doch! Glaube und Gewalt: Warum Muslime ihre Religion jetzt erneuern müssen – und wie die Freiheit zu verteidigen ist“. Denn: „Über unsere Werteordnung können wir nicht verhandeln“ (Wolfgang Bosbach, CDU). Schön.
Andererseits berichtet die Frankfurter Allgemeine wie folgt (Hervorhebungen von mir): „In Dreux bei Paris boykottierten 60 Schüler die Gedenkzeremonie. Sie verlangten eine Schweigeminute ,für Palästina’. Ihre Familien sind den Ordnungskräften als Besucher einer salafistischen Moschee bekannt. In der zum Schulbezirk der Sozialwohnbausiedlung La Grande-Borne zugehörigen Schule ertönten während der Schweigeminute ,Allahu Akbar’-Rufe. Der Terrorist Amedy Coulibaly wuchs in diesem Hochhausviertel bei Paris auf … Die Stimmung ist so aufgeheizt, daß es auch zu Auseinandersetzungen zwischen Schülern kommt. ,Le Figaro’ schreibt, daß eine Gruppe von Jugendlichen von einer Berufsschule in Senlis auf Schüler des benachbarten Gymnasiums mit dem Kampfschrei ,Wir legen noch mehr ,Charlie Hebdos‘ um’ zustürmte und diese zu verprügeln versuchte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt … ,Mit ein paar Unterrichtsstunden mehr in Staatsbürgerkunde wird diesen Zwischenfällen nicht beizukommen sein’, sagte der frühere Bildungsminister Jack Lang“, der als guter Bourgeois auch weiß warum: weil es nämlich seinen schlechten Grund hat, daß Terroristen mehrheitlich aus Hochhausvierteln kommen, „Allahu Akbar“ vornehmlich in Sozialbausiedlungen gerufen wird und muslimische Berufsschüler auf (nichtmuslimische) Gymnasiasten losgehen und nicht umgekehrt.
„Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“ Marx, 1844
Daß kein Riß durch die Gesellschaft gehen dürfe, davor warnen alle, die Kommentatoren und Wohlmeinenden und Abendlandbesitzer, und es kommt ihnen sehr zupaß, lauthals einen Kulturkampf annoncieren zu können, wo es sich doch ganz offensichtlich ein kleines bißchen auch um Klassenkampf handelt, und zwar einen von der schmutzigen, bewußtlosen, religiös verdummten Sorte. „Die drei Attentäter von Paris und ihre mutmaßliche Komplizin wurden in eine feindliche Welt aus Beton geboren. Aber sie hatten Chancen, ihren Platz im Leben zu finden“ (Süddeutsche) – so kann es gehen, und so geht es immer wieder, und kaum ist, man weiß nicht wie, eine Chance futsch, steht schon der Islam mit der Kalaschnikow bereit und gefährdet unsere Werteordnung.
Und während darum noch alle ganz Charlie sind, hat der saudi-arabische Blogger Raif Badawi für „Beleidigung des Islams“ die ersten 50 von 1000 Peitschenhieben erhalten, was den Ruf des Islams als Gewaltreligion nicht eben erschüttert: „Badawi hatte den ägyptischen Aufstand gegen Präsident Hosni Mubarak 2011 bejubelt – ein Alptraum für den Hof in Riad … Er trat für die Trennung von Religion und Staat ein – und dies unter der Herrschaft einer Königsfamilie, die ihre schiere Existenz der Koalition mit dem rückwärtsgewandten islamischen Wahhabismus verdankt“ (SZ). Religion ist Opium des Volks, und über die Qualität des Rauschgifts zu lamentieren verdeckt die eigentliche Frage, die in Dreux so gestellt gehört wie in Riad und aber von FAZ bis Zeit allenfalls mal angedeutet wird, weil die Antwort nicht genehm sein kann: warum das Volk denn überhaupt Opium braucht.
(Für die Antwort braucht es keine halbe Stunde Staatsbürgerkunde.)
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