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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Vergeblich

Die Zeitung vom Mittwoch war umständehalber liegengeblieben, jene vom Samstag erst gar nicht gekommen, so wie die Zeitung recht regelmäßig nicht kommt, ohne daß die Beschwerden irgend etwas nützten. „Ist ja auch kein Job, den man machen wollte“, sagt die Nachbarin, deren Taz vom selben Austräger oder derselben Austrägerin geliefert wird oder eben nicht geliefert wird, und da hat sie freilich recht; andererseits kostet mein tägliches Liberalquatschblatt 700 Euro im Jahr. Allein deshalb bin ich für den Sozialismus: daß er mit diesen quälenden Widersprüchen endlich einmal aufräumt.

Aber es war dann Glück im Pech, denn auf der Seite drei der aus dem Altpapier gezogenen frischen Mittwochszeitung fand sich eine Reportage über das Elend in den katastrophal überbelegten, heillos vergammelten, von Mord, Bandenkriegen, sogar Kannibalismus heimgesuchten brasilianischen Gefängnissen. „Reginaldo Santos Soares ist seit zwei Jahren hier. Er sagt: ,Das Essen ist schlecht, das Klopapier reicht längst nicht für alle, wir brauchen uns nicht über Menschenwürde zu unterhalten.’ Santos ist der Gefängnisdirektor.“

Das Hauptproblem ist die üble Überbelegung: Drei Mann in einer Einzelzelle, sechs Quadratmeter brutto, sie schlafen in Schichten. Die meisten Insassen sind Kleindealer und -dealerinnen oder „Untersuchungshäftlinge, die auf ihren Prozeß warten – oder einfach vergessen wurden“. Ein Anwalt wird zitiert: „Der klassische brasilianische Häftling hat ein Alter, eine Hautfarbe und eine Adresse: jung, schwarz, Vorstadtsiedlung.“ Der Anwalt begleitet eine 19jährige zum Haftrichter, die wegen 20 Gramm Gras einfahren wird, für Jahre. „Ihr Fall sei in jeder Hinsicht typisch … Das Gericht kann bei der Entscheidung, ob sie als Konsumentin oder Dealerin einzustufen ist, … den ,sozialen Kontext’ bewerten. In der Praxis bedeutet das: ,Die Armen wandern wegen kleinster Mengen von Marihuana in den Bau. Die Kids der Oberschicht können mit noch so viel Kokain erwischt werden, sie kommen als Konsumenten davon.’ Menschenrechtler laufen seit Jahren Sturm gegen diese Form der Segregation. Vergeblich.“

„Wenn es net so traurig wär', / entsetzlich schaurig wär', / man würde lachen ohne End'.“ Falco, 1982

So vergeblich wie in den USA die Appelle, das groteske Mißverhältnis zwischen der Zahl weißer und schwarzer Strafgefangener zu ändern, und auch hier ist die Drogenkriminalität die Eintrittskarte in die Welt des Strafvollzugs, der halbe Generationen schwarzer junger Männer aus dem Leben nimmt. Das wird leicht für die Spezialität US-protestantischer Moraldrakonik gehalten, verschärft durch Rassismus und ein Geschäftsinteresse, das ein privatisierter Strafvollzug haben muß. Daß es im fröhlichen Mañana- (bzw. Amanhã-)Brasilien genauso zugeht, läßt es noch etwas unwahrscheinlicher werden, daß all dies nichts mit einem Klassenkampf von oben zu tun hätte, für den die Drogen, bei allem moralistischem Gejammere, ein willkommener Vorwand sind, den Menschenmüll von der Straße zu schaffen.

„Menschenrechtsexperten, Kriminalwissenschaftler, Soziologen, UN-Beobachter … kommen zu dem Schluß, daß der Drogenkrieg deutlich mehr Opfer fordert als der Drogenkonsum. Kaum irgendwo ist das so offensichtlich wie in den Gefängnissen. Aber kaum etwas ist politisch so schwer vermittelbar.“ Weil nämlich nicht gewollt: um die Unterschicht im Gefängnis verschwinden zu lassen und die Affekte der Mittelschicht umzulenken. Der „Krieg gegen die Drogen“ ist in Bausch und Bogen gescheitert, wird aber aus klassenpolitischem Interesse weitergeführt werden, so wie das deutsche Klasseninteresse Schulkinder nach der vierten Klasse (aus-)sortiert, allen gebetsmühlenartigen Warnungen aus Pädagogik und Sozialarbeit zum Trotz.

Mit Appellen an die Vernunft kommt man da nicht weiter, weder hier noch da. Es wird doch nicht so sein, daß die Klassengesellschaft als solche schlicht unvernünftig ist?




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Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg