Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: The Art of the Deal
Die drei Fernseher in meinem Rückenstudio laufen natürlich stumm, und so mußte (oder vielleicht durfte) ich die ersten Bilder von der Freilassung Deniz Yücels ohne Tonspur sehen; und hätte den akustischen Teil vielleicht auch später übergangen, wenn mein Kolumnisteninstinkt sich vom Tagesthemen-Kommentar des Bayerischen Rundfunks nicht was versprochen hätte. Zumal da es in Tagesthemen und Heute-Journal wie auch tags drauf im Frühstücksblatt darum ging, ob das nun ein „Deal“ gewesen sei, schlimmstenfalls ein „schmutziger Deal“, wie ihn sich der Gefangene selbst ja verbeten hatte. Für den geschäftsführenden Außenminister, wußte ein Andreas Bachmann (BR), war es jedenfalls ein viel zu guter Deal:
„Wie anbiedernd ist es da, wenn sich Außenminister Sigmar Gabriel heute bei der türkischen Regierung auch noch für die Verfahrensbeschleunigung im Fall Yücel bedankt, nach 367 Tagen Untersuchungshaft. Für Gabriel dürfte die Freilassung des Journalisten eine seiner letzten Taten als Außenminister sein, die in guter Erinnerung bleiben. Entsprechend hat er den Tag heute ausgekostet, flog extra von der Münchner Sicherheitskonferenz nach Berlin, um beim Axel-Springer-Verlag eine Pressekonferenz zu geben. Ein wichtiges Treffen mit den Regierungen Frankreichs, Rußlands und der Ukraine hier in München wurde dagegen aus Termingründen abgesagt. Und so scheint es, aller Beteuerungen Gabriels zum Trotz, daß der Fall Yücel für ihn auch Teil des Kampfes um das Amt des Außenministers ist. Nutzen wird es ihm wohl nicht.“
„Do ut des.“ Aus dem römischen Recht
Politik geht, glauben wir der veröffentlichten Meinung, die etwa aus dem Kopfschütteln über die SPD nicht herausfinden will (Jasper: „würdelos“), ja ohnehin am besten so, daß alle sich immer einig sind und es Deals, ob nun schmutzig oder nicht, gar nicht bedarf; und wenn Zamperoni und Slomka sich nun furchtbar kritisch dabei vorkommen, nach einem Deal zu fahnden, und sich ausgerechnet ein BR-Mann, als wisse er nicht, wo’s verläßlich warm rauskommt (CSU), über sozialdemokratisches Anbiedern mokiert, dann wollen sie die saubere Politik als am besten gar keine. Dann fährt ein Bundesaußenminister zu einem Autokraten, führt einen Habermasschen Dialog, erreicht, was er will, und verabschiedet sich gleich im Anschluß in die Rente, damit ihm niemand unterstelle, er wolle von den Früchten des Erfolges naschen.
Der Widerwille vor der schmutzigen Politik, er sitzt so tief in deutscher Seel’, und fast möchte man zögern, ihr diese Wahrheit mitzuteilen: Politik ist immer Deal, und was Erdogan bekommen hat, ist die Rückkehr in den Kreis derer, mit denen sich verhandeln läßt, u.a., lesen wir, nach Vermittlung durch Exkanzler Schröder, dem „ein Händchen im Umgang mit Autokraten und Halbdemokraten nachgesagt“ wird (SZ), der also weiß, wie Deals mit Schmutzfinken funktionieren, und selbst bekanntlich mit eher dunklen Westen unterwegs ist. Was Deniz Yücel bekommen hat, ist die verdiente Freiheit, das Haus Springer kann sich als Hüter der Pressefreiheit aufspielen, die Medien dürfen ultrakritisch nachfassen, und früher oder später wird es auch wieder Ersatzteile für die deutschen Panzer in Diensten der türkischen Armee geben, ob da nun türkische Journalisten lebenslang in Haft sitzen oder nicht. Das kann man gern häßlich finden, möge aber nicht so tun, als sei es in einer Welt, „in der jede Pore des Lebens zur Ware gemacht wird“ (Stephan Lessenich) und „gerade das streng persönliche Handeln dem jetzigen Begriff der Moralität (als einer allgemeinen Nützlichkeit) entspricht“ (Friedrich Nietzsche), etwas Gott weiß wie Unerhörtes, ja Systemfremdes.
„Ein einzelner Mensch zählt mehr als die Schöpfung.“ Aus dem Avot de-Rabbi Nathan, 1550
Falls nicht wiederum umgekehrt ein Schuh draus wir: daß sie sich dicktun, weil sie es alles in allem eben gar nicht häßlich finden.
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