Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Springer zieht
Aus München schreibt mir Kurt Kister, der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung: „Es ist vertrackt: Als Journalist wünscht man sich nicht unbedingt Verleger, die sich einmischen, schon gar nicht inhaltlich. Andererseits ist es bedauerlich, wenn sich ein großer Verlag, und sei es Springer, zu einer digitalen Gemischtwarenbude mit angeschlossenem Content-Angebot entwickelt.“
Es mag an der Hitze liegen, daß man hier den Content nicht versteht und sich fragt, was das „andererseits“ soll und was hier „vertrackt“ ist: Als Journalist will man keine Verleger, die sich einmischen; deswegen ist es bedauerlich, wenn Springer, aufs Digitalgeschäft der Zukunft spekulierend, die Evolution zum digitalen Einkaufskiosk beschließt und alles außer Bild und Welt nach Essen an die (vage sozialdemokratische) Funke-Gruppe verkauft. Und dem sozialliberalen Journalismus seinen altbösen Lieblingsfeind wegnimmt: „Die Springer-Blätter waren unabdingbarer Bestandteil der hitzigen politischen Debatte in der stark polarisierten Bundesrepublik. Man verhielt sich nicht neutral zu ihnen, jedenfalls nicht, wenn man als Linker oder auch als Konservativer an der politischen Debatte teilnahm. Die Literaten Böll, Grass, Walser (ja, auch der damals) schrieben gegen Springer, es gab Demonstrationen, ja Gewalt gegen Springer-Eigentum, weil linke Studenten, aber auch liberale Demokraten etlichen Springer-Leuten Mitschuld an Gewalt gegen Linke wie Rudi Dutschke gaben. Das ist vorbei. Der Verleger Springer ist lange tot, und die Bild-Zeitung ist so etwas wie gedrucktes RTL2 mit Einsprengseln von Emma, Landlust und Zeit von vor zwei Jahren geworden.“
„Du besitzt nur zu sehr die Eigenschaften des Journalisten: glänzenden Vortrag und die Raschheit des Gedankens. Du würdest nie ein geistreiches Wort unterdrücken, auch wenn es deinen Freund träfe.“ Balzac, 1839
Bild war (von dem Anteil Emma abgesehen, mit dem wohl das Geschwätz Alice Schwarzers gemeint ist) indes nie etwas anderes, wie nämlich wiederum genau umgekehrt RTL2 nie etwas anderes war als das ins Bild gesetzte Bild-Prinzip; aber vielleicht ist in Münchens Hultschiner Straße ja die Klimaanlage kaputt. „Eigentlich war das eine hochinteressante Zeit, als politisch und ökonomisch motivierte Verlage gegeneinander konkurrierten und in ihren Blättern hitzige Debatten ausfochten. Auch wenn man als Journalist auf der anderen Seite stand (immer ein guter Standpunkt für Journalisten), gehörte die eine Seite, in diesem Falle Springer, zu dieser Welt unabdingbar dazu. Das gibt es jetzt so nicht mehr. Schade.“
Jammerschade geradezu; denn jetzt wird es so sein, daß politisch und ökonomisch motivierte Verlage nicht mehr gegeneinander konkurrieren und die Debatten entsprechend unhitziger, ja geradezu kühler werden, wie sie es aber zum Glück sowieso geworden sind, seit die Bundesrepublik bloß noch eine schwach bis gar nicht mehr polarisierte ist, in der z.B. der Springer-Faschismus der Apo-Jahre im Rückblick auf die Überreaktionen „etlicher Springer-Leute“ zusammenschnurrt, die Bild-Zeitung nur mehr als harmloser Trash gilt, die Chefin der Frauenbewegung fröhlich für die Reaktion arbeitet und auch die sozialliberale Presse die Einheit des Vaterlandes als ihren unabdingbaren Auftrag versteht.
Schwer zu sagen, was der längst tote Verleger von Döpfners Marsch in die neue Zeit hielte: Wäre er traurig, daß Springer sich als Zeitungshaus abwickelt, oder würde er frohlocken, daß das Land so rechts geworden ist, daß es Springers als Zeitungshaus nicht mehr bedarf?
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