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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Sie fielen, damit Deutschland lebe

Wer seinen statistischen Alterszenit überschritten hat, mag dazu neigen, nicht mehr fernsehen zu wollen, denn je weniger Zeit bleibt, um so dringender das Gefühl, man dürfe sie nicht verschwenden. Wenn ich aber doch mal vor der Glotze sitze, weil ich z.B. „Ocean's Twelve“ noch nie gesehen habe, muß ich natürlich die Werbepausen durchstehen, was allenfalls dann geht, wenn man den Ton wegschaltet. Als Stummfilm sehe ich also einen Clip, der, wie mir die spätere Recherche verrät, zu einer „Thank you Mom“ / „Danke Mama“ betitelten Kampagne des Konzerns Procter & Gamble (Nahrung, Kinderpflege u.v.m.) gehört und in dem folglich Kinder und Nachwuchssportler beim kindlichen, später adoleszenten Nachwuchssporttreiben immer wieder auf den Hintern fallen, aber durch die Beharrungskraft der Mamis (nicht der Vatis, die kaufen keine Windeln) trotzdem irgendwann auf dem Treppchen landen. Was die Mamis so stolz macht, daß sie weinen müssen. Der Claim, in Deutschland mit freundlicher Unterstützung der sog. Testimonials Rosi Mittermeier & Sohn: „Du bringst uns bei, daß hinfallen uns stärker macht – danke Mama!“

Es wird z.Z. ja viel geschrieben über die Winterspiele von Sotschi, über Willkür, Ausbeutung, Brutalität und Korruption, die allein deswegen so schlimm sind wie niemals zuvor, weil Willkür, Ausbeutung, Brutalität und Korruption bloß für halbfertige Hotelzimmer, Bienen im Frühstückshonig und die mittlerweile schon legendäre Doppeltoilette ohne Trennwand gesorgt haben, und genausoviel wird in den nächsten zwei Wochen natürlich trotzdem geschrieben werden über Bobfahrten und Riesenslaloms, weil ja kein Sportskandalon so erheblich ist, daß es die gesellschaftlichen Apparate dazu brächte, auf den Sport als „größte der Blödmaschinen“ (Metz/Seeßlen) zu verzichten. Weil er den Leuten nämlich so schön das Konkurrenzprinzip in die Birnen hämmert und schon die Kinder mit der Totalität des gesellschaftlichen Leistungsanspruchs niederstreckt: „Du bringst uns bei, daß hinfallen uns stärker macht – danke Mama!“

„Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.“ Rilke, 1908

Was für ein Dreck; welch ein Abgrund an Perfidie und Schweinegesinnung. Wenn ein Kind hinfällt, dann soll man ihm aufhelfen und es trösten und nicht noch das kindliche Malheur ins fanatisch instrumentelle Denken einpassen. Die Niederlage als Ansporn und Propagandamaßnahme, so wie die Helden von Stalingrad nicht für nichts, sondern dafür gestorben sind, daß Deutschland lebe, wie es wiederum niederschmetternd ist, wie sehr und scheint's unaustilgbar das Ideologem vom „starken Kind“ sich bis in die Jugend- und Sozialdezernate der Kommunen gefressen hat, die's natürlich nur gut meinen und nicht wollen, daß schwache Kinder Drogen nehmen, aber natürlich, wo sollen sie es herhaben, keinen Gedanken daran verschwenden (und es schließlich, Apparate auch sie, billigen), daß „Stärke“ immer auch eine ist zum Durchsetzen, Rechthaben, Endsiegen. (Den hundertstelsekundenschweren „Unterschied zwischen Teilnehmen und Gewinnen“ zu messen verspricht der offizielle Uhrensponsor der Winterspiele. Dabeisein ist halt längst schon viel weniger als alles, es ist ganz einfach gar nichts mehr.)

Hinfallen, liebe Mamis, mache nicht stärker, sondern weiser. Denn das Leben ist, mit Ortega y Gasset, seinem Wesen nach ein einziger Schiffbruch, und geliebt wird euer Kind einzig da, wo es schwach sein darf, ohne Stärke zu provozieren. Wie es im übrigen für sich spricht, daß der gegenwärtige gesellschaftliche Saustall noch die Kalenderweisheiten der Kritischen Theorie ins Recht setzt.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Wie Ihr Euch als Gäste verhaltet, liebe »Zeit online«-Redaktion,

ist uns wirklich schleierhaft. Immerhin empfehlt Ihr allen guten Besucher/innen, beim Verlassen des Gästezimmers »mehr als eine Unterhose« anzuziehen. Da drängen sich uns einige Fragen auf: Ist Euch im Höschen öfters kalt? Ist das wieder so ein Modetrend, den wir verpasst haben? Gibt es bei Eurem Gastgeber keine Toilette und Ihr müsst vorbeugen?

Und wie trägt man überhaupt mehr als eine Unterhose? Muss man sich Buxen in aufsteigenden Größen kaufen oder reicht ein erhöhter Elastan-Anteil? Wie viele Schlüpferlagen empfiehlt der Knigge?

Denkbar wäre etwa, bei engen Freund/innen zu zwei, bei Geschäftskolleg/innen jedoch zu mindestens fünf Slips zu greifen. Aber wie sieht es aus bei der nahen, aber unliebsamen Verwandtschaft?

Trägt zur Sicherheit immer mindestens drei Stringtangas: Titanic

 Tatütata, LKA Niedersachsen!

»Ganz viel Erfolg morgen bei der Prüfung, liebe Karin«, sagt angeblich das gesuchte ehemalige RAF-Mitglied Burkhard Garweg gut gelaunt in einem Video, das bei der Fahndung im Presseportal unter der Rubrik »Blaulicht« veröffentlicht wurde. Die Fahnder/innen erhofften sich dadurch, so heißt es, neue Hinweise, und richten sich deshalb mit den Fragen an die Bevölkerung: »Wer ist ›Karin‹ bzw. ›Carin‹?« und: »In welchem Zusammenhang steht sie zu Burkhard Garweg?«. Schön und gut, da möchten wir nach einem derartigen Cliffhanger nun aber auch die Frage hinzufügen: Wie ist Karins Prüfung denn nun eigentlich gelaufen?

Hinweise an Titanic

 Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Mitten im Streit um das wohl von Ihnen manipulierte Wahlergebnis bei der Präsidentschaftswahl haben Sie wieder einmal tief in die politische Trickkiste gegriffen: »Es ist September, und es riecht schon nach Weihnachten«, frohlockten Sie in einer Fernsehansprache. »Als Dank an das kämpferische Volk werde ich daher Weihnachten per Dekret auf den 1. Oktober vorziehen.«

Wir haben sogar eine noch bessere Idee, Maduro: Könnten Sie nicht per Dekret Weihnachten von Anfang Oktober bis Ende Dezember stattfinden lassen? Im Gegensatz zum Kanzler in seinem kapitalistischen Schweinesystem können Sie doch sicher bestimmen, dass die planwirtschaftliche Lebkuchen-Vanillekipferl-Produktion schon im Juni anläuft. So können Sie sich nicht nur ein paar Tage, sondern ganze drei Monate Ruhe zum Fest schenken!

Rät Titanic

 Really, Winona Ryder?

Really, Winona Ryder?

In einem Interview mit der Los Angeles Times monierten Sie, dass einige Ihrer jungen Schauspielerkolleg/innen sich zu wenig für Filme interessierten. Das Erste, was sie wissen wollten, sei, wie lange der Film dauere.

Wer hätte gedacht, Ryder, dass Sie als Kind aus der Glanzzeit des Fernsehkonsums einmal die Nase rümpfen würden, weil junge Menschen möglichst wenig vor der Glotze sitzen und sich stattdessen lieber bewegen wollen? Davon abgesehen: Sind Sie sicher, dass sich die Abneigung gegen Cineastisches und das Verlangen, bereits beim Vorspann die Flucht zu ergreifen, nicht nur auf Werke beziehen, in denen Sie mitspielen?

Fragt sich Ihre Filmconnaisseuse Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
Titanic unterwegs
04.10.2024 Greiz, Sommerpalais Hauck & Bauer
05.10.2024 Kassel, TiF Max Goldt
05.10.2024 Berlin, Künstlerhof / Buchhändlerkeller Alt Lietzow Christian Y. Schmidt
06.10.2024 Berlin, Schloßparktheater Max Goldt