Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Mutter, vergib ihnen
Das durchaus Schöne an dem politischen Schauspiel pro und contra Frauenquote war, daß es materialistische Geschichts- und Gesellschaftsauffassung voll bestätigt hat: Wer gegen die Quote ist, hat sie nicht nötig, wie umgekehrt nicht bekannt geworden ist, daß eine Frau, die von ihr profitieren würde, sich je gegen sie ausgesprochen hätte. Gegen die Quote sind also Männer und jene Frauen, die sich in die Führungsetagen geboxt haben und ihren Sieg nicht durch den Vorwurf, jener verdanke sich bloß einer Quotenregelung, verwässert sehen wollen, für die Quote sind alle, die sich keine Illusionen über die allgemeinmenschliche (und speziell deutsche) Bereitschaft machen, Privilegien zu teilen. „Eine Frauenquote braucht niemand“, erklärte also eine Lencke Wischhusen von einem überhaupt idiotischen „Verband junger Unternehmer“, und die FDP-Abgeordnete Nicole Bracht-Bendt hatte den originellen Gedanken, Quoten für „Planwirtschaft“ zu halten, was „in krassem Widerspruch zu unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung“ stehe. Die Anschlußfrage, ob das eher gegen die Quote oder für die Planwirtschaft spricht, stellt sich einer, deren mentale Ausstattung lediglich für ein FDP-Mandat im Bundestag gereicht hat, natürlich nicht, wie unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung ja in der Tat und generell für den (und die) da ist, die hat, und nicht für den (oder die), die nicht hat, ob es nun um Hartz IV, Wohnungsbau, Gymnasium oder Frauenquoten geht. Freie Bahn dem Tüchtigen, wer nicht mitkommt, soll sehen, wo er bleibt.
„Wir wollen unsere Herren loben / alles Gute kommt von oben“ Grönemeyer, 1986
Das ist „unsere“ Wirtschaftsordnung, und die Wirtschaftsordnungen von z.B. Norwegen, Irland oder Finnland, wo Frauenquoten gelten und von der Wirtschaft längst akzeptiert sind, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, es an Freiheitlichkeit mit der deutschen nicht aufnehmen zu können. Schön, in Deutschland ist Wahlkampf, und gerade für FDP und CDU ist die Idee vom Wettbewerb, der für die von Haus aus Privilegierten im wesentlichen vorentschieden ist, ja Markenkern; und trotzdem scheint die Sturheit, mit der auf Selbstverpflichtungen, „Flexi-Quoten“ und dem freien Marktgeschehen beharrt wird (und also darauf, daß alles so bleiben kann, wie es ist), ein weiteres Indiz dafür zu sein, daß Deutschland auf dem „langen Weg nach Westen“ (Heinrich August Winkler) irgendwann stehengeblieben ist, und zwar ca. da, wo Frauen im Krankenhaus arbeiten und Männer im Vorstand. Da können noch so viele Studien davon Zeugnis geben, daß keine Selbstverpflichtung der Welt den Anteil der Frauen an Spitzenpositionen aus dem einstelligen Prozentbereich heben wird: im deutschen Vaterland ist man in guter schlechter Tradition so autoritäts- und also vaterfixiert, daß nicht mal eine Frau als Regierungschefin und das Wissen, daß Frauen die Wahl entscheiden, an der Ordnung etwas ändern, die Macht auch im kleinen bei denen wissen will, die sie immer schon haben.
Deutsche Zivilisation (sofern das nicht ein Widerspruch in sich ist) ist Volker Kauder, deutsche Emanzipation Kristina Schröder. Es kann einen schon ratlos machen.
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