Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Mit den Opfern
Die Trauer, die Bestürzung, die Fassungslosigkeit waren groß beim Stern nach den Anschlägen von Paris, diesem laut Stern-Titel „Angriff auf Europa“. „Die Morde an Unschuldigen, deren einziges Verbrechen am vergangenen Freitag war, daß sie ihr Leben genießen wollten, haben uns Westeuropäer ins Mark getroffen“, trauerte Chefredakteur Christian Krug auf Seite 5, um auf Seite 6 an- und abzuschließen: „Wir widmen den Anschlägen von Paris und ihren Folgen in diesem Heft mehr als 50 Seiten. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Hinterbliebenen.“
Auf Seite 7 trauerte die Fa. Bulthaup sogleich ganzseitig mit: „Augen. Hände Leidenschaft. Wo Maschinen ihre Grenzen erreichen, vollenden Menschen mit Leidenschaft ihre Bulthaup-Küche.“ Auf den Seiten 8 und 9 dann das Inhaltsverzeichnis („Terror in Paris“, „Angriff auf die Freiheit“), danach doppelseitig das „Rundum-Sorglos-Paket“ der wo schon nicht "Bataclan"-, so doch „Club & Lounge Sondermodelle“ von VW: „Mit der neuesten Euro-6-Technologie“, „bis zu 4000 € Preisvorteil“ und „5 Jahren Garantie serienmäßig“.
„Das Leben ist der Güter höchstes nicht“ Schiller, 1803
Seite 14: „Weltweite Anteilnahme: Ob in New York, Rio oder Shanghai – überall leuchteten die Nationalfarben Frankreichs“, auf Seite 15 leuchtete immerhin das „Drunterhemd Mey Dry Cotton Functional“ in Reinweiß, es ist aber „auch im Farbton Skin“ erhältlich. Folgten drei Seiten Bestürzung und Trauer, dann der Peugeot 2008 („Eigener Kopf inklusive“) mit „2000 € Eintauschprämie“. Auf Seite 20 erzählten Stern-Reporter (m/w), „welche Augenblicke, Bilder und Gefühle sich in ihr Gedächtnis eingegraben haben“: „Ich laufe durch malerische Gassen zu den Plätzen, wo so viele Menschen gestorben sind“ und also nicht mehr in den Genuß des nebenan beworbenen „neuen Kindle Paperwhite mit brillantem, hochauflösenden Display“ gelangen werden. Wer umblätterte, las den Stabreimer Jörges „Härte und Humanität“ fordern, nebenan hatte die Uhrenfirma Mido solidarisch einen Eiffelturm über ihren (sehr schönen!) Commander Caliber 80 Chronometer gebastelt (unverbindliche Preisempfehlung 1120 Euro), woran sich 29 Seiten mit Fotos von Toten und Terror anschlossen, und erst auf Seite 53 durfte dann endlich Opel auf seinen neuen Astra mit „Massagesitzen und Matrixlicht“ hinweisen, bevor Frédéric Beigbeder seinen Senf dazugab. Dann Eon bzw. die „Eon-Solarprofis“, dann neun betroffen machende Seiten IS und Terror, auf Seite 67 endlich „die neue Miele CM7“-Heißgetränkmaschine („Exklusiv bei Miele: Automatisches Entkalken“).
Bis auf Seite 73 die anteilnahmsvolle Hamburger Berichterstattung fürs erste an ihre Ende gelangt und der Alltag zurück war und es wieder um „Geld: Meine Tips für eine sinnvolle Anlagestrategie“ gehen konnte, durften noch www.erdgas.info und die Volksbanken und Raiffeisenbanken um Aufmerksamkeit bitten, denn „jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt“, und das haben die Pariser und Pariserinnen ja nun gemerkt, nicht wahr!
Ich möchte nicht gern ermordet werden. Wenn es aber geschieht, dann sorgt bitte dafür, daß weder die Illustriertenpresse noch die Firmen bulthaup, VW, Mey, Peugeot, Amazon, Mido, Opel, Eon oder Miele Kapital daraus schlagen.
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