Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Longlist
Der schriftstellernde Freund wirkte verdrossen. Er sei, gab er zur Erklärung an, ein wenig deprimiert, es gehe ihm aber schon besser, heute morgen sei es allerdings schlimm gewesen, bloß momentweise schlimm gewesen, aber doch schlimm gewesen. Er habe, obwohl er ja im Bilde sei, ja tatsächlich alles wisse über diesen sogenannten Deutschen Buchpreis, dieser laut Spiegel online populärsten Literaturauszeichnung des Landes, trotzdem wieder einen Schrecken gekriegt, als er die sogenannte Longlist zu eben diesem sogenannten Buchpreis studiert und zur Kenntnis genommen habe. Er, der Freund, wisse nämlich zufällig aus eigener Anschauung, aus eigener, wenn auch kurzer, vor Ekel abgebrochener Lektüre, was für ein entsetzlicher Amateur dieser Joachim Meyerhoff z.B. sei, da sei die formale Unbedarftheit tatsächlich überragend, und Clemens Meyer, das sei ja wohl ebenfalls ein Witz, ein schlechter Witz, dieser tätowierte Ostzonen-Bukowski und Aushilfs-Carver, Kehlmann, Glavinic, Timm, okay, da dürfe man immerhin Handwerk erwarten, Profitum, eventuell langweilig oder wenigstens überraschungslos, aber doch sicher sauber heruntergeklopft, aber Entschuldigung, Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como, da sei ja schon rein namens- und titelmäßig, übrigens auch frisur- und posenmäßig nichts mehr zu retten, er habe bei Amazon die erste Seite gelesen, und er sage bloß: O weh, bzw. sage, mit Rainer Candidus Barzel: So nicht! So nicht!, sage er da, und fast enttäuscht sei er gewesen, daß nicht wenigstens Maja Haderlap auf der Liste gewesen sei, Maja Haderlap, die Bachmannpreisgewinnerin von zwotausendelf, weil er gerne Maja Haderlap mit Monika Zeiner um den Deutschen Buchpreis, diese populärste und eben deshalb eben auch korrupteste deutsche Literaturauszeichnung, habe streiten sehen wollen, und weil es überhaupt an der Zeit sei, daß sein Lieblingssatz, sein Lieblingsliteratursatz der letzten Jahre diesen Deutschen Buchpreis endlich einmal abkriege: „Im Teigtrog schmatzt es und patzt es. Schweißtropfen bilden sich auf Mutters Stirn und fallen ins werdende Brot“, eine geradezu luftabschneidend verkitschte Frauenkalender- und Bedarfsliteraturscheiße von Maja Haderlap aus ihrem überaus treffend betitelten Jahrhundertroman Engel des Vergessens, und jedenfalls sei er dann tatsächlich traurig geworden, denn es werde ihm hin und wieder schwer, sehr schwer, bei der Stange zu bleiben und schreibend seine dreitausend Leute zu bedienen, immer wieder dreitausend Leute, gute Leute, prima Leute, aber wie solle man da auf lange Sicht nicht schwermütig werden, Piwitt, Musil, alle schwermütig, alle am Arsch, und einem illiteraten Schwachkopf wie Clemens Meyer wirft man, wenn es dumm läuft, die Millionenauflage hinterher, er, der Freund, müsse dann jetzt mal wieder an den Schreibtisch, es ändere ja nichts, es gehe, wie wir vom Fußballtorhüter Kahn wüßten, nun einmal weiter und immer weiter, und er, der Freund, pfeife, wie ich mir denken könne, ja auch auf Preise, jedenfalls solange er sie nicht bekomme; aber müßten sie denn immer denselben Heimatdichtern und Heulsusen, Praktikanten und Poseusen zu Auflagen verhelfen?
„Was wollte ich denn gerade? / Ah, den Strick!“ Rühmkorf, 2008
Immerhin, soweit er sehe, keine DDR und keine Wehrmacht und keine Erinnerungsscheiße diesmal; und ich lasse ihn gehen und behalte meine Befürchtung, in Marion Poschmanns hochverdruckstem, vor manieriertem Kunstgewerbe zitterndem Spitzenwerk „Die Sonnenposition“ („Seit ich im Schloß wohne, halte ich mich gerne für eine Orange. Besser noch für eine Pomeranze“) gehe es genau mal wieder darum, besser für mich.
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