Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Klar
Vor zweihundert Jahren starb Johann Gottlieb Fichte, und der Berliner Philosophieprofessor Tobias Rosefeldt erklärt uns, warum 200 Jahre manchmal nur ein Tag sind: „Zum Beispiel erinnert uns Fichte daran, was es heißen kann, den Begriff der Freiheit ins Zentrum der Überlegungen zur Rolle des Staats zu stellen. Heute sieht es doch so aus: Wenn man für Freiheit ist, ist man für weniger Staat. Wer für viel Staat ist, braucht andere Werte, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und dergleichen. Fichte dagegen setzt Freiheit als obersten Wert und folgert daraus dann sehr viel. Er fragt, welche Funktionen der Staat übernehmen muß, um die Freiheit für seine Mitbürger zu ermöglichen. Er gelangt auf diese Weise zu einem starken Umverteilungsansatz.“ Das kann der interviewende Feuilletonist natürlich nicht so stehen lassen: „Der ,geschlossene Handelsstaat‘“, das einschlägige Buch bzw. Konzept Fichtes, „wirkt dann in vielem auch wie eine vorweggenommene Beschreibung der DDR.“ Prof. Rosefeldt: „Klar, auch hier mag vieles falsch sein. Aber wir beschäftigen uns mit Philosophen ja nicht deswegen, weil sie ausschließlich wahre Sachen sagen“. Wie der Zeitungsmann sich mit Philosophen ja auch nicht deshalb abgibt, um sein fanatisches Ressentiment in Zweifel ziehen zu lassen.
„It is all so utterly stupid.“ Morrissey, 2013
Und also ist bereits die Frage unmöglich, ob die, lesen wir recht, doch erinnerungswürdige Idee, Freiheit setze Umverteilung voraus, in der so sagenhaft unfreien DDR eine Art von Freiheit geschaffen habe, die in der sagenhaft freien BRD unbekannt ist, und was daraus für den herrschenden Freiheitsbegriff abzuleiten wäre. Doch in unserer gedankenfreien Welt darf man zwar alles sagen, tut's aber selbst als Professor nicht, wenn der nächstbeste Trottel „DDR“ schreit. Dabei steht bei Fichte auch bloß das, was zweimal im Jahr im bürgerlichen Leitartikel steht, wenn der Kinderarmutsbericht sich nicht ganz mit den Überzeugungen des Bundespräsidenten deckt oder ein paar mehr Obdachlose erfroren sind als im langjährigen statistischen Mittel: „Man hat ferner die Aufgabe des Staates bis jetzt nur einseitig und nur halb aufgefasst, als eine Anstalt, den Bürger in demjenigen Besitzstande, in welchem man ihn findet, durch das Gesetz zu erhalten. Die tiefer liegende Pflicht des Staates, jeden in den ihm zukommenden Besitz erst einzusetzen, hat man übersehen. Dieses letztere aber ist nur dadurch möglich, daß die Anarchie des Handels ebenso aufgehoben werde, wie man die politische allmählig aufhebt, und der Staat ebenso als Handelsstaat sich schliesse, wie er in seiner Gesetzgebung und seinem Richteramte geschlossen ist.“
Aber die Anarchie des Handels ist nun einmal göttliches Gebot, und was immer uns die Alten über die Welt mitzuteilen haben, sie müssen sich an dieser alternativlosen Welt messen lassen; das Gegenteil, daß sich etwa die Welt an den Gedanken der Alten zu messen hätte, unter der Frage etwa, wie alternativlos diese Welt wirklich sei, scheidet a priori aus. Sonst hätten wir nämlich den Menschen als denkendes, selbstbewußtes, schlimmstenfalls „freies Wesen“ (Fichte); und das kann ja niemand wollen.
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