Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Frau Merkel, zum Diktat!
Jemand Lust zu wetten? Ich wette, daß die Illustrierte Der Spiegel am heutigen Spätsonntag mit zirka dem Titel „Die käufliche Republik“ aufmacht; gewinne ich, darf ich mich acht Wochen lang Nostradamus nennen, verliere ich, war's immerhin ein schöner Kolumneneinstieg.
Die Christlich Demokratische Union Deutschlands hat von der BMW-Familie Quandt eine Parteispende über 690 000 Euro empfangen, und weil zugleich die deutsche Bundeskanzlerin eine EU-Richtlinie über Kohlendioxidgrenzwerte, die von den PS-monströsen Kraftfahrzeugen deutscher (und eben auch Münchner) Produktion nicht einzuhalten wären, verhindert hat, steht nun der „Vorwurf der gekauften Politik“ („Spiegel online“) im Raum, und der gute Demokrat Prantl kann indigniert auf das Parteiengesetz hinweisen, „dessen detaillierte Formulierungen die Geschichte der Parteispendenskandale widerspiegeln. Dieses Gesetz will nicht nur jede Einflußnahme per Geld, sondern auch schon den Anschein von Einflußnahme verbieten. Es heißt dort, daß von Parteien Spenden nicht angenommen werden dürfen, wenn diese ,erkennbar in Erwartung eines bestimmten Vorteils gewährt werden‘. Aber was heißt nun bitte ,erkennbar‘. Und wie lange ist ein Zusammenhang erkennbar? Vier Wochen? Vier Monate?“
„[Es] ist festzustellen, daß ökonomische Bedeutung heute sich nach der Nützlichkeit für die Machtstruktur bemißt, nicht nach der für die Bedürfnisse aller.“ Horkheimer, 1947
Gute Frage, die allerdings verkennt, daß Politik im bürgerlichen Staat die Funktion von Wirtschaft ist und nicht etwa umgekehrt: Politik exekutiert, was Wirtschaft will. (Wie? Das ist eine vulgärlinke Latrinenparole? Schön. Aber wer hat Bologna erfunden? Die Bildungsministerin? Oder Bertelsmann?) Wenn Gremlizas ältere Beobachtung, noch nie habe es in der BRD ein Gesetz gegeben, das gegen die Interessen der Deutschen Bank gerichtet gewesen sei, stimmt, ist es nicht recht erheblich, ob Merkel im juristischen Sinne korrupt ist oder die FAZ recht hat: „Die Kanzlerin ist nicht käuflich“; sie ist so käuflich wie eine, die im Vorzimmer von Siemens sitzt und ihr Geld dafür bekommt, daß sie tut, was der Chef ihr sagt. (Wie? Das sind die Reinhard Mohrschen „speckigen Ressentiments“? Aber wer bezahlt die Energiewende, und warum bezahlt sie die Industrie eben nicht?)
Man darf sich davor hüten, Korruption oder Korrumpierbarkeit für eine moralische Angelegenheit zu halten, wo es sich um eine funktionslogische handelt. Wer das Geld hat, hat die Macht, und Macht ohne Geld ist geborgte Macht; ob vom sog. Souverän geborgt oder doch vom BDI und der ihm angeschlossenen Bewußtseinsindustrie, muß hier nicht interessieren. Wem aber Macht bloß vom Mächtigen geliehen ist, der muß sich wohlverhalten. „Bleibt ein Korruptionsverdacht an Merkel hängen, wenn sie sich für die deutsche Autoindustrie mit 750 000 Beschäftigten einsetzt? Nein. Einst wetterte schon SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel gegen Brüsseler CO2-Auflagen – auch ohne Privatspende der Quandts“ (FAZ). Denn sozial ist, was Arbeit schafft (Alfred Hugenberg/Horst Köhler), und Arbeit schafft die Industrie, zu ihren Bedingungen, und also ist Sozialpolitik Industriepolitik. Wer da als gutbürgerlicher Diskursteilnehmer „Korruption“ schreit, der muß dann aber auch das Maul halten, wenn der Grenzwert doch noch kommt und bei BMW zwecks Renditesicherung Personalkosten gespart werden, weil eine nichtkorrupte Politik im Sinne einer Vernunft entschieden hat, die im unvernünftig-korrupten System nichts weiter als dysfunktional ist.
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