Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Es ist nicht egal, aber
Das Leben, Wiederkehr des Immergleichen: Aufstehen, pinkeln, anziehen, Tee kochen, Brötchen kaufen, Süddeutsche Zeitung aus dem Postkasten ziehen und darin mit einiger Verläßlichkeit ca. zweimal im Jahr Nachrichten des Zuschnitts lesen: Das Bundesverfassungsgericht meldet Bedenken an, ist aber im Grundsatz einverstanden, und die Staatspresse, dem Mythos Bundesverfassungsgericht hörig, sieht einen Kantersieg der Demokratie: „Polizei und Nachrichtendienste müssen in Deutschland grundsätzlich getrennt arbeiten. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil zur Anti-Terror-Datei entschieden. Der Erste Senat … hat die … gemeinsame Datensammlung von insgesamt 38 Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten dennoch im Grundsatz gebilligt, allerdings mehrere Detailkorrekturen angemahnt.“ Man kann von Orwell halten, was man will, aber seine dystopische Vision vom doublethink erfüllt sich glänzend, wo Polizei und Abwehr zwar grundsätzlich getrennt arbeiten, eine gemeinsame Datensammlung aber genauso grundsätzlich in Ordnung ist.
Zur selben immergleichen Choreographie gehört der Aufschrei Heribert Prantls, der, als Dr. iur. und ehemaliger Richter, so wacker den Kopf schüttelt, wie er es immer tut, wenn im Rechtsstaat Deutschland mehr faul ist, als selbst gymnasiale Schulweisheit sich träumen läßt: „Kann man den Rechtsstaat vor dem Terror schützen, indem man die Regeln des Rechtsstaats auflöst? Zu diesen Regeln gehört seit den Anfangstagen der Bundesrepublik das Gebot, Geheimdienst und Polizei zu trennen. Doch dieser Grundsatz hat seine Grundsätzlichkeit verloren. Das Bundesverfassungsgericht hat … vor der Vermischung von Polizei und Geheimdienst gewarnt. Das Karlsruher Urteil gegen die Antiterrordatei ist daher ein gutes Urteil.“ Das Bundesverfassungsgericht, das die gemeinsame Datensammlung von insgesamt 38 Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten im Grundsatz gebilligt hat, hat also laut sozialliberaler Rechtsabteilung im selben Atemzug ein gutes Urteil gegen die von ihm im Grundsatz gebilligte Antiterrordatei gesprochen, eine Doublethink-Pirouette, die viel weniger halsbrecherisch ist, als man vermuten mag: „Wenn Karlsruhe, wie am Mittwoch, ,Ja, aber' sagt, dann hört die herrschende Sicherheitspolitik nur das ,Ja' (selbst wenn das ,Aber' sehr laut ist)“, und der ans BverfG wie an den lieben Gott glaubende Prantl hört, wenn wir das ergänzen dürfen, nur das „Aber“, selbst wenn das „Ja“ noch so deutlich ist, ganz wie seine Redaktion, die aus der allerhöchstrichterlich kritischen Grundsatzzustimmung zum seit den Anfangstagen der Bundesrepublik verpönten gemeinsamen Arbeiten von Polizei und Geheimdienst die mächtige Schlagzeile zimmert: „Karlsruhe setzt Geheimdiensten Grenzen“.
„Wir müssen überzeugt sein, daß das Wahre die Natur hat, durchzudringen, wenn seine Zeit gekommen, und daß es nur erscheint, wenn diese gekommen, und deswegen nie zu früh erscheint noch ein unreifes Publikum findet“ Hegel, 1807
Karlsruhe soll den Geheimdiensten aber nicht einfach nur Grenzen setzen, denn Grenzen setzen, das ist blödeste Sozialdemokratie. Karlsruhe soll die Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei verbieten. Aber Karlsruhe setzt lieber Grenzen und beschwert sich, zur hellen Freude der bürgerrechtlich bewegten Presse („Ohrfeige für Berlin“ o.ä.), auch nicht über die Hartz-Sauerei als solche, sondern über zu niedrige Sätze: Ja, aber. Was bleibt, ist das Ja im Grundsatz. Das soll so sein, denn das Verfassungsgericht schützt die Verfassung der Bourgeoisie und ihres Gewaltmonopols und billigt deshalb natürlich unter den Einschränkungen, die das Prinzip erst heiligen, den seit den Anfangstagen der Bundesrepublik als faschistoid geltenden Einsatz der Bundeswehr im Inneren, so wie es Hartz IV und die Terrordatei im Prinzip billigt, so wie es immer kritisch billigt, wenn eine Billigung politisch vonnöten und eine kritische Billigung demokratisch geboten ist.
Dialektiker könnten finden, das Aber sei die Perfidie, nicht das Ja.
◀ | Selten gehörte Sätze | Bundesliga-Transferkarussell aktuell | ▶ |
Newstickereintrag versenden…