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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Diskurse in dieser Gesellschaft

Im Frankfurter Hauptbahnhof stößt ein Mann ein Kind und seine Mutter vor einen einfahrenden ICE. Die Mutter kann sich retten, das Kind stirbt, und abends steht die Tagesthemen-Frau Atalay im Fernsehen und hat einen Aufmacher: „Es gibt Verbrechen, die uns so erschüttern, dass sie uns fast die Sprache verschlagen“, am Stammtisch etwa oder in den Tagesthemen, aber eben nur fast. „Der mutmaßliche Täter ist ein 40jähriger aus Eritrea. … So steht die Öffentlichkeit fassungslos vor Taten, die nicht zu begreifen sind“, schon gar nicht einen halben Tag nachdem die Taten überhaupt erst passiert sind. Da es fürs erste nichts zu begreifen gibt, kann der Filmbeitrag auch nur den Sachverhalt schildern, der Eritreer ist festgenommen und schweigt. Später wird ein Psychiater ihn begutachten.

Weil aber die Öffentlichkeit gerade so schön fassungslos ist, widmet sich gleich der nächste Beitrag der wachsenden Zahl von Fällen, in denen „junge Männer, die oft einen Migrationshintergrund haben“, im Freibad randalieren. „Pauschale Vorverurteilungen lehnen Experten ab“, relativiert der Filmbericht weiter, „nicht immer handele es sich zum Beispiel um Jugendliche mit einem Migrationshintergrund“, und trotzdem wollen Politiker natürlich Aufenthaltsrechte prüfen und hat ein Schwimmbad einen iranischen Bademeister eingestellt. Dessen Chef sagt: „Die Südländer ham ne andere Mentalität als wir Deutschen, und wenn man da jemand hinschickt, der die gleiche Sprache spricht, kann man das schnell aufn Teppich wieder zurückholen.“

Da Vorverurteilungen mithin abzulehnen sind und es sich nicht immer, sondern nur oft um junge Männer mit Migrationshintergrund handelt, spricht Atalay dann „mit dem Integrationsexperten und Psychologen Ahmed Mansour“, der wie immer und sehr gekonnt vor pauschalen Urteilen warnt, um sie dann doch zu servieren. Frage: „Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Migrationshintergrund der jungen Männer?“ – „Eine Rolle von vielen.  Also, viele Migranten, die zu uns kommen, bringen ganz andere Sozialisationen mit, patriarchalische Strukturen, Männlichkeitsbilder, die natürlich auch in Extremfällen zu Gewalt führen. Gewalt, die wir in den letzten Tagen erlebt haben, hat nicht nur mit Flüchtlingen und Migration zu tun, sondern auch mit Jugendkultur, mit den Diskursen in dieser Gesellschaft, die aggressiver geworden sind.“

Bei soviel Übersicht muss Atalay aufpassen, dass Ihr schönes Interview keine falsche Richtung nimmt, und fragt also nicht nach dem gesamtgesellschaftlichen Aggressionsdiskurs, in dem kurzbehoste deutsche Kleinbürger z.B. zu pöbeln anfangen, nur weil im Fahrradmarkt die Reparaturannahme ausnahmsweise nicht unterm Schild „Reparaturannahme“ stattfindet, sondern lieber nach den ausländerrechtlichen Konsequenzen und ob die denn hülfen. Mansour weiß, was verlangt wird: „Bei manchen Fällen ist das natürlich sehr gut, einfach die Rechtsstaatlichkeit konsequent durchzuziehen, und auch denjenigen, die zu uns kommen, die Gastfreundschaft, die Asyl sozusagen ausnutzen, instrumentalisieren, um hier Gewalt auszuleben, einfach die Konsequenzen auch zu zeigen und sie mit Botschaften auch abschieben zu können.“ Etwa einer Botschaft wie: Wer das Gastrecht, das es gar nicht gibt, ausnutzt, um sich im Freibad danebenzubenehmen, der muss sich in Afghanistan dann halt ggf. hinrichten lassen. „Das Problem, das wir in den letzten Jahren erleben“, gerade wenn wir die „Bild“-Zeitung lesen, „ist, dass der Rechtsstaat einfach als schwach wahrgenommen wird, und in manchen Fällen wären solche Botschaften sehr notwendig, um den Jugendlichen einfach zu zeigen, dass Gewalt kein Bagatelldelikt ist, dass das bestraft wird und in Extremfällen auch mit Abschiebung bedroht wird.“ Einem Extremfall wie dem von Düsseldorf, wo sich hundert junge Blödmänner mit den Bademeistern anlegten.

„Doch weil ich dich hier nicht versteh, / Leiste ich Gesellschaft dir nicht und geh / Verloren traurig ist sie schon / Unsere bittersüße Non-Konversation.“ Keimzeit, 2000

Aber da wollen wir, will Atalay ja hin: dass, wer rechtzeitig abgeschoben ist, nichts mehr anstellen kann. „In Voerde stieß ein Mann eine Frau vor einen Zug, auch er hat Migrationshintergrund.“ Laut SZ vom Folgetag ist der Täter von Voerde ein „in Deutschland geborener Kosovo-Serbe“ und hat also einen sozusagen blutsmäßigen Migrationshintergrund und eine andere Mentalität als Südländer. „In der öffentlichen Wahrnehmung kommt an, unfassbare Taten, begangen von Menschen mit ausländischen Wurzeln“, barmt Atalay, deren Dummheit sie vor dem Vorwurf bewahren mag, eine Heuchlerin zu sein. „Nun frag ich mich als die, die darüber berichtet“, und zwar so, dass in der öffentlichen Wahrnehmung ankommt, unfassbare Taten, begangen von Menschen mit ausländischen Wurzeln, „was macht das mit unserer Gesellschaft, mit dem Umgang mit solchen Taten? – „Also erst mal sind das Realitäten“, hilft Mansour gern, „die vielen Menschen angst machen. Der zweite Schritt wäre, zu differenzieren und einfach den Rechten die Argumente wegzunehmen“, auch durch Abschiebungen im Extremfall. Der dritte: „Wir müssen diese Debatte führen, wir können sie nicht tabuisieren, die Tabuisierung wird dazu führen, dass die Rechten davon profitieren.“

Im Anschluss an die Tagesthemen ein Report über Polizeigewalt in Deutschland: 2000 Fälle werden Jahr für Jahr angezeigt, davon landen 40 vor Gericht, 20 enden mit einer Verurteilung, die Dunkelziffer wird auf 12 000 Fälle geschätzt. Vermutet werden dürfen patriarchalische Strukturen, Männlichkeitsbilder, die natürlich auch in extremen Fällen zu Gewalt führen. Geradezu sehr vielen.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster