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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die Ästhetik des Widerstands

„Juden, da haben wir immer gegen den Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht’s wirklich nicht ums Geld, denen geht’s um die Weiber, und deshalb brauchen sie das Geld. ... Ich meine, den Juden Reparationen zu zahlen, das ist wie Didi Mateschitz ein Red Bull auszugeben.“ Auch wenn die Diskussion um die fade Kabarettistin Lisa Eckhart, der wir diesen und ähnliche, bereits 2018 veröffentlichte „Me too“-Scherze verdanken („Die Erektion des schwarzen Glieds braucht alle sieben Liter Blut, über die ein Mensch verfügt“), so getan hat, lässt sich nicht gerichtsfest auflösen, was daran Ressentiment ist und was in Rollenrede zurückgespieltes Ressentiment. Liest man Eckharts Interviews, in denen sie sich über bornierte „Gutunmenschen“ beschwert (und ganz unschuldig Gutmenschen verteidigt), und nimmt man den festen Platz bei und die Solidarität von Dieter Nuhr in die Rechnung, spricht viel fürs Ressentiment, mindestens das abgeleitete, überaus publikumsträchtige wider „N-Wort“-Sager, Philosemiten und andere Fanatiker*innen der richtigen Meinung, die uns jetzt, Stichwort Cancel Culture, auch noch Lisa Eckhart verbieten wollen, die nämlich von einem kleineren Literaturfestival ausgeladen wurde und sich im „SZ-Magazin“ also um die Kunstfreiheit sorgt. Aber, mit gerade 27, ständig im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen ist. (Mit dem Wahngedanken vom dräuenden Berufsverbot ist seinerzeit, Eckhard Henscheid hat’s in seinem unvergänglichen Porträt in den „Erledigten Fällen“ notiert, schon Hanns Dieter Hüsch hausieren gegangen, der im Staatsfunk gegen Spitzengage klagte, er stehe mit einem Bein im Gefängnis.)

Trotzdem ist es möglich, dass es sich beim inkriminierten und ebenso heftig verteidigten Bit um Satire handelt, und zwar um eine, die auch diesseits des Nuhrschen Kosmos als solche zu gelten hätte. Denn soviel ist ja wahr, dass „wir“, wenn wir Juden meinen, „jüdische Menschen“ sagen und vielleicht trotzdem fanden, mit Weinstein, Allen, Polanski habe die Realität das Klischee eingeholt. (Das hochgradig projektive Wahnbild vom jüdischen Triebtäter ist eins aus eigenem Recht; Eckharts Witz ist also gar nicht so gebildet, wie Eckhart tut.) Angesichts unausrottbaren Antisemitismus und Rassismus ist eine Bühnennummer vorstellbar, die so spricht, wie sich die Leut’ (noch) nicht zu sprechen trauen, und damit ein Gelächter provoziert, das sich selbst richtet; falls das nicht eine romantische Vorstellung ist und die Leute nicht einfach erleichtert lachen.

„Dabei ahnt aber die verfolgende Unschuld nicht, dass tatsächlich der Wille zur Niederlage eine Triebkraft sein könnte, die einen wahren Feldherrn der Kultur zum Triumph der Demut über den expansiven Ungeist führt, und dass jene Sprache gewinnen würde, in deren Verkehrsbereich sich der Zusammensturz des weltbeherrschenden Unwerts endlich vollzieht, damit auch dieser Krieg den Sinn eines Krieges habe. Wenn aber die Sprachen so weit halten, dass dieselbe Rede die Wahrheit des einen und die Wahrheit des andern ist, so lügt nicht einer, sondern beide, und über alle triumphiert wie eh und je der Unwert.“ Kraus, 1915

Auf Heinz Becker, den ewigen Spießer, ist in verwandtem Zusammenhang schon hingewiesen worden; seiner Show war es nicht unbedingt abträglich, dass nicht immer klar wurde, ob man über ihn lachte oder mit ihm, weil er seine Figur so eindeutig zeichnete: Wer hier sprach, war der Depp, der man am Ende selber war. Im groben Unterschied dazu hat man es bei „Lisa Eckhart“ (bürgerl. Lisa Lasselsberger) mit einer Figur zu tun, die sich auf ihre Distanz viel einbildet. Sie hasst, erfahren wir aus der wohlwollenden Strecke im „SZ-Magazin“, das Kabarett, das sich gutunmenschlich anbiedert, und wer bei Youtube den legendären Auftritt verfolgt, mag es fast mutig finden, einem arglosen Standardpublikum (das dann auch erst wieder beim Katholenwitz lacht) mit Judenwitzen zu kommen bzw. „Äußerungen, die nur mit Mühe nicht als antisemitisch zu verstehen sind“ (SZ, an anderer Stelle). Natürlich sind die Äußerungen antisemitisch, sonst lässt sich ja kein Judenwitz erzählen, von dem man sich dann fragen können soll, wie ironisch er ist, und freilich kann man finden, beim Judenwitz höre der Spaß auf, aber das bringt ihn, jenseits der Bühne, nicht aus der Welt.

Larry David hat sich die Einlassung, für die Eckhart angegriffen wird, ganz ähnlich erlaubt, aber da war’s ein jüdischer Witz. Was Eckhart, im besten Fall, gemacht hat, ist ein ironischer Judenwitz, um die Stimmung zu testen oder auf Kosten von Leuten, die uns unablässig einreden, Juden seien die besseren Menschen, wer immer diese Leute sein mögen. Dass Eckhart, um deren Hals ein großes Schild „Kunstfigur“ (vielleicht sogar mit Divis) baumelt und deren „Ästhetizismus“ („SZ-Magazin“) verhindert, dass man nicht weiß, wie alles gemeint ist, mit dieser Ambiguität irgendwann dafür gesorgt haben könnte, dass die Leute wieder lachen, wenn jemand „Jude“ sagt, ist ein Preis, den die Künstlerin mit ihren Fernsehhonoraren verrechnen mag.

PS. „1930 wurden Satire- und Kabarettstücke auch abgesagt, weil die Veranstalter die ,Sicherheit von Publikum und Künstlern’ nicht gewährleisten konnten oder wollten. Wenn dies heute wieder geschieht, sollte dies zum Nachdenken anregen“ (Nachdenkseiten). Noch ein bisschen doller könnte vielleicht zum Nachdenken anregen, dass Eckhart ihr Satirestück 1930 fast wortgleich hätte anbringen können; sogar im selben Outfit.

PPS. Nach Feierabend hält Youtube dann noch mal Eckhart bereit, wo sie von ihrem Versuch berichtet, in Paris als Sprachgenie durchzugehen, indem sie sich als Polin ausgab, und als Muttersprachlerin im Deutschkurs sei sie dann so gehänselt worden „wie der Jude in BWL“. Wer möchte, darf annehmen, dass ein jüdischer Kommilitone gehänselt worden sei oder dass Juden in BWL tatsächlich gehänselt werden. Aber BWL hat Eckhart gar nicht studiert, und sie sagt ausdrücklich Jude (und nicht „ein jüdischer Freund“), und von allen möglichen Vergleichen ist es ebender, ohne dass es mit dem Thema was zu tun hätte. Lautes Lachen im Publikum. „Die Grenzen des Sagbaren“ (SZ-Magazin) verschieben: Mission eigentlich schon accomplished.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Puh, Lars Klingbeil!

Gerade wollten wir den Arbeitstag für beendet erklären und auch die SPD mal in Ruhe vor sich hin sterben lassen, da quengeln Sie uns auf web.de entgegen, dass es »kein Recht auf Faulheit gibt«. Das sehen wir auch so, Klingbeil! Und halten deshalb jeden Tag, an dem wir uns nicht über Ihren Populismus lustig machen, für einen verschwendeten.

Die Mühe macht sich liebend gern: Titanic

 Priwjet, Roderich Kiesewetter!

Priwjet, Roderich Kiesewetter!

»Die AfD ist nicht besser oder schlechter als das BSW. Beide sind Kinder derselben russischen Mutter«, sagten Sie der FAS.

Da haben wir aber einige Nachfragen: Wer sind denn die Väter? Hitler und Stalin? Oder doch in beiden Fällen Putin? Und wenn BSW und AfD dieselbe Mutter haben: Weshalb ist der Altersunterschied zwischen den beiden so groß? War die Schwangerschaft mit dem BSW etwa eine Risikoschwangerschaft? Und warum sollte es keine Qualitätsunterschiede zwischen den Parteien geben, nur weil sie die gleiche Mutter haben? Vielleicht hat Russland ja sogar ein Lieblingskind? Können Sie da bitte noch mal recherchieren und dann auf uns zurückkommen?

Fragt die Mutter der Satire Titanic

 Stefan Schlatt, Reproduktionsbiologe an der Uni Münster!

Sie gaben im Zeit-Wissensteil ein ganzseitiges Interview, das wie folgt betitelt wurde: »Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes«. Eine billige Masche der Zeit, mit einer bizarren Überschrift Neugier zu wecken, das war uns sofort klar. Dennoch wollten wir natürlich wissen, in welchem Zusammenhang Sie das oben Zitierte von sich gaben.

»Der Testosteronspiegel des Mannes geht nur langsam zurück, vor allem, weil er im Alter immer dicker wird und nicht mehr so gesund ist wie mit 25. Dies zeigt sich dann an der Hormonproduktion im Hoden. Bergleute haben früher Kanarienvögel mit unter Tage genommen, die Alarm schlugen, wenn die Luft dünner wurde. Man könnte sagen: Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes.«

Wo sollen wir anfangen, Schlatt? Der Kanarienvogel diente Bergleuten als Indikator für die sinnlich nicht wahrnehmbare Gefahr der Kohlenmonoxidvergiftung. Diese soll in Ihrer Metapher wohl der niedrige Testosteronspiegel sein, der nicht etwa durch das Übergewicht, sondern nur durch den Hoden zu erkennen ist. Und das geschieht wie, Schlatt? Schlägt der Hoden Alarm, indem er laut zwitschert? Sind die Kanarienvögel unter Tage nicht vielmehr verstummt und tot umgefallen? Und was ist in Ihrer Analogie eigentlich der Käfig für den singenden Hoden?

Fest steht hier im Grunde nur eins: Bei Ihnen piept es gehörig – im Kopf und in der Hose.

Tirili: Titanic

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Sie wiederum, André Berghegger,

haben als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes nach dem Einsturz der Dresdner Carolabrücke eine »Investitionsoffensive für die Infrastruktur« gefordert, da viele Brücken in Deutschland marode seien. Diese Sanierung könnten jedoch Städte und Gemeinden »aus eigener Kraft kaum tragen«, ergänzten Sie. Mit anderen Worten: Es braucht eine Art Brückenfinanzierung?

Fragt Ihre Expertin für mehr oder weniger tragende Pointen Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
23.10.2024 Karlsruhe, Tollhaus Max Goldt
23.10.2024 Berlin, Walthers Buchladen Katharina Greve
24.10.2024 Stuttgart, Im Wizemann Max Goldt
25.10.2024 Potsdam, Waschhaus-Arena Thomas Gsella