Newsticker

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Der ewige Kanzler

Aus meiner Lieblingsstadt Frankfurt am Main schreibt mir Freund und Kollege Jürgen Roth: „Lieber Stefan, Dein Nachruf auf Kohl ist, wie ich meine, nur weitgehend zutreffend; denn die ,geistig-moralische Wende’ hat es, ausgenommen Privat-TV, nie gegeben. (Und RTL etc. haben im Sinne des Schlagwortes gewiß nichts geistig-moralisch gewendet.) Das Geschwätz hat Kohl selbst nicht ernst genommen. Und die D-Mark-Sache und die Ausplünderung der DDR gehen vor allem auf das Konto vom schon damals faschistischen Schäuble und zumal der FDP. Kohl hat wiederholt geäußert, wie ihm die ,Wirtschaftskriecher’ der FDP mit ihrer Politik auf Zuruf der Deutschen Bank auf den Sack gingen, da gibt es Zitate genug. Kohl hat das halt gemacht, weil er sehr gern Kanzler war. Das war alles. Er war weder ein Staatsmann noch sonst was, er war ein gemütlicher Opportunist, der mir, verglichen mit Kommandeuren wie Schmidt und Schröder und dem Kapitalappendix Merkel, mittlerweile sogar ziemlich sympathisch ist. (…) Der wollte, daß sein Parteiladen finanziert wird und in seinem Sinne schnurrt und daß es keinen Zirkus mit dem Franzos’ gibt. Das war sein Programm. Alles andere ist linke Mystifikation. (…) Mir ist der Kohlsche Gemütlichkeitsmuff (das Leben als eine Art ewig geöffnete Schankwirtschaft) lieber als das Brandtsche ,Zusammen’-Gewichse. Und Kohl war keine ,kalte’ Figur, im Gegenteil, man hat an ihm tatsächlich wenigstens Spuren von Ehrlichkeit wahrgenommen. Stell Schröder und Merkel dagegen, diese Killer.“

„Wir sehen, daß in dem Maße, als, in der organischen Welt, die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. – (...) so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.“ Kleist, 1810

Das Temperaturempfinden ist ja bekanntlich ein relatives, und daß Kohl heute Wärme bescheinigt werden kann, ist nichts als Ausdruck der kalten und immer kälteren Verhältnisse, die ihm folgten. „Kohl verkörperte, sobald er auf einem TITANIC-Cover auftauchte, in einer Gestalt sowohl die herrschenden Verhältnisse als auch die Kritik daran“, hat Hans Zippert dem Altkanzler in der „Welt“ nachgerufen. „Das wird ihm leider keiner mehr nachmachen“, und schon gar nicht die, die heute allein noch das (Kapital-)Verhältnis als solches sind. Kohl war, darüber weit hinaus, der Witz, für den ihn so viele gehalten haben, und wenn jeder (gute) Witz das Seine in Frage und auf den Kopf stellt – Trump, nebenbei, ist ein schlechter –, war Kohl sein eigener Widerspruch, ein dialektisches Verhältnis an und in sich, über dem Kabarett redundant werden mußte. Die Synthese KOHL, war sie von komischer Kunst erst einmal entdeckt und ausstaffiert, hatte mit geistig-moralischen Wenden, Spätgeburtsgnaden und Gorbatschow-ist-Goebbels-Allotria dann gar nichts mehr zu tun, weshalb die KOHL-Titel der TITANIC auch keine Satire waren, sondern ein Gottesdienst, in dem sich KOHL der Welt als Wahrheit offenbarte, als höchster Sinn im durchaus Gewöhnlichen. KOHL war das (auch klangmagisch plausible) Zauberwort, und daraus ergab sich alles.

Romantische Kunst mithin, und auch Eckhard Henscheids einschlägiges Meisterwerk, die ’85er Kohl-„Biographie einer Jugend“, führt nicht läppisch den täppischen Kohl vor, sondern verehrt die universalpoetische Chiffre (KOHL), und was daran zum Lachen ist, ist nicht der Mann als Witzfigur, sondern Novalis’ „ursprünglicher Sinn“, dessen Totalität nicht hindert, daß er – in und durch und wegen Kohl – einfach keinen ergibt; bloß immer KOHL, und das ist sehr viel besser als nichts. Wenn auch nicht viel mehr als nichts.

So liegt im alten Wort vom ewigen Kanzler eine tiefere Wahrheit, und wer will, mag es wider das Urteil meines Freundes für trostvoll halten, daß Kohls Mädchen Merkel ihm nicht nur in der Persistenz, sondern auch semantisch so freudig rudernd nacheifert.




Eintrag versenden Newstickereintrag versenden…
Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

optionale Mitteilung an den Empfänger:

E-Mail-Adresse des Absenders*:

E-Mail-Adresse des Empfängers*
(mehrere Adressen durch Semikolon trennen, max. 10):

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Mitten im Streit um das wohl von Ihnen manipulierte Wahlergebnis bei der Präsidentschaftswahl haben Sie wieder einmal tief in die politische Trickkiste gegriffen: »Es ist September, und es riecht schon nach Weihnachten«, frohlockten Sie in einer Fernsehansprache. »Als Dank an das kämpferische Volk werde ich daher Weihnachten per Dekret auf den 1. Oktober vorziehen.«

Wir haben sogar eine noch bessere Idee, Maduro: Könnten Sie nicht per Dekret Weihnachten von Anfang Oktober bis Ende Dezember stattfinden lassen? Im Gegensatz zum Kanzler in seinem kapitalistischen Schweinesystem können Sie doch sicher bestimmen, dass die planwirtschaftliche Lebkuchen-Vanillekipferl-Produktion schon im Juni anläuft. So können Sie sich nicht nur ein paar Tage, sondern ganze drei Monate Ruhe zum Fest schenken!

Rät Titanic

 Katsching, Todd Boehly!

Sie haben sich von Ihrem sauer Errafften den englischen Fußballverein FC Chelsea angelacht, der Titel holen soll, allerdings unter Ihrer Leitung lediglich einen einstelligen Tabellenplatz im nationalen Wettbewerb vorzuweisen hat. Zur Generalüberholung der in der Mittelmäßigkeit versackten Blauhemden sind auf Ihr Geheiß für über eine Milliarde Euro insgesamt 39 Fußballer verpflichtet worden, womit der aktuelle Kader mindestens 44 Spieler umfasst (darunter zehn Torhüter, von denen laut derzeit gültigem Regelwerk leider trotzdem nur einer das Tor hüten darf).

Zu dem über Ihrer Truppe ausgekübelten Spott tragen wir allerdings nicht bei, aus unserem Mund also keine Mutmaßungen über beengte Verhältnisse unter der Dusche oder die vollen Körbe am Trikotwaschtag. Denn selbstverständlich wird ein ausgebufftes Finanzgenie wie Sie, Boehly, seine Gründe haben, viermal elf Freunde mit Verträgen, die zum Teil bis ins nächste Jahrzehnt laufen, auszustatten. Denn wissen wir nicht alle, dass in diesen unsicheren Zeiten das Geld auf der Bank am besten aufgehoben ist?

Guckt eh lieber von der Tribüne aus zu: Titanic

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

 Ex-VIVA-Moderator Mola Adebisi!

Im »Dschungelcamp« gaben Sie Ihre Meinung zum Thema Geschlechterrollen zum Besten: »Ich möchte nicht das tun, was eine Frau tut, das kann ich auch nicht. Und eine Frau soll auch nicht das tun, was ein Mann tut. Das geht auch nicht.« Männer sollten beispielsweise nicht als Hebammen arbeiten, denn eine Frau würde ein Kind anders lieben als ein Mann.

Und das wird von einer Hebamme ja schließlich gefordert, dass sie Kinder nicht einfach fachgerecht zur Welt bringt, sondern sie auch liebt.

Aber wenn Ihnen so viel daran liegt, die Tätigkeitsbereiche von Männern und Frauen zu trennen, warum haben Sie sich dann ein Metier gesucht, in dem sie gleichermaßen vertreten sind, Adebisi? Nämlich hauptberuflich im Dschungelcamp rumzusitzen?

Fragt sich, auch wenn sie das nicht tun soll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
23.10.2024 Karlsruhe, Tollhaus Max Goldt
23.10.2024 Berlin, Walthers Buchladen Katharina Greve
24.10.2024 Stuttgart, Im Wizemann Max Goldt
25.10.2024 Potsdam, Waschhaus-Arena Thomas Gsella