Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Der doofe Rest
Jedes fünfte Kind in Deutschland kann am Ende seiner Grundschulzeit nicht vernünftig lesen und schreiben, und bevor jetzt wieder das allgemeine Gequengel anhebt von wegen Iglu-Schock, Rückschlag im internationalen Bildungswettbewerb usw.: Ich find’s eigentlich ganz gut.
Weil, es ist doch so. Dieses fünfte Kind ist ja ohnehin keins von uns: Zuhause wird weder richtig (oder überhaupt) deutsch gesprochen, noch stehen (gute!) Bücher im Regal, und die Schule, nicht wahr, kann auch nicht immer alles reparieren, was im Elternhaus verbrochen wird. Die protestantische Idee ist doch, daß der liebe Gott es den Seinen nach deren Mühen zuteilt, und wenn ein Kind nicht lesen lernt, dann ist das nur gerecht; wie es umgekehrt ganz ungerecht wäre, wenn die Kinder, wo zuhause RTL oder Auslandssender läuft, genauso prima lesekompetent wären wie unsere.
Diese Kinder nach vier Schuljahren voneinander zu separieren ergäbe ja auch gar keinen Sinn, wenn sie alle gleich gut wären, und auf unseren Gymnasien, Entschuldigung, ist weiß Gott genug los, da muß man dann schon sehen, wo man die Mittel konzentriert. Ohne zukünftige Leistungsträger geht es ja wohl nicht! Und braucht denn wirklich jedes Kind ein Abitur? Also, unsere Kinder natürlich schon, das hat was mit der Geschichte des deutschen Bürgertums zu tun, das Leute ohne Abitur für Honks hält. Aber irgendwer muß ja schließlich auch Häuser mauern oder Müll wegfahren, und stand das nicht neulich in der Zeitung, daß in Spanien ein Mangel an Feuerwehrleuten herrscht, weil die Leute reihenweise durch den Eignungstest fallen, und war die berechtigte Frage des Redakteurs nicht, warum man Rechtschreibung können muß, um Häuser zu löschen? In derselben Zeitung war jetzt ein Riesenartikel über Amazon, und da liegen die einen Leute auf dem Sofa und bestellen den ganzen Tag Quatsch, und die anderen stehen, kaum macht irgendwo ein Vertriebszentrum auf, Schlange für einen Job, weil man für den „nichts können muß“ (Zeitung). Und beides gehört zusammen, volkswirtschaftlich, logisch, überhaupt.
„Wenn ich noch mal das Wort ,Bildung’ höre, gehe ich spazieren.“ Jürgen Roth, 2018
Es muß dieses Kind, das nicht lesen kann, und ein weiteres, das nur halbwegs lesen kann, auch darum geben, weil sonst die anderen drei nicht aus Haushalten kommen könnten, die sich als bildungsnah bezeichnen, auch wenn sie eigentlich von nichts eine Ahnung haben, aber einen Riesenfernseher mit „Alexa“-Steuerung. Super Interview mit Bono heute: „Können Sie denn nachvollziehen … weil alles transparent und nachvollziehbar war … Ich kann das nachvollziehen“, und derart limitiert daherreden und -übersetzen und trotzdem noch Elite sein geht ja nur, wenn andere noch viel weniger können. Oder eben nichts, hurra!
Also muß man gezielt dafür sorgen, daß die Blöden sogar noch blöder bleiben wie wir: Zu wenige Lehrerinnen hier, „Schreiben nach Gehör“ da, am besten beides, und schon hat man ein überaus nützliches Drittel Bevölkerung: für die stetig wachsende Nachfrage bei Paket- und Lieferdiensten, aber auch fürs Verachtenkönnen, wobei wir, systemisch günstig, bloß uns selbst verachten, weil wir uns sehen, wie wir wären, könnten wir nicht mehr.
Bis dahin freilich: Alles gut!
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