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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Das Zauberwort

Es soll ja keinesfalls so werden, dass an dieser Stelle Kindermund zum Einsatz kommt; aber die gute Frage war halt schon, warum man an einer Supermarktkasse nicht viel Geld verdient und warum die Kassiererinnen das Geld, das sie einnehmen, nicht behalten können. Na ja, weil das der bekommt, dem der Supermarkt gehört, und der zahlt davon den Kassenkräften ihren (kleinen) Lohn. Und jetzt Einsatz Grundschulkindermund: „Aber das ist doch ungerecht!“

Dass der Kommunismus leicht sei, hat Brecht schon vermutet, und ganz so schwierig ist sein Gegenteil gleichfalls nicht. Reichtum, sagt der schwäbische Schraubenfabrikant Würth, der für eine (freilich erst nach den Tagesthemen ausgestrahlte) ARD-Doku über den „Wert der Arbeit“ zum Interview saß, sei systemimmanent, und er habe damit auch kein Problem. Denn wenn sie in Kreuzberg (er sagt wirklich wie selbstverständlich: Kreuzberg) am hellichten Tage auf der Wiese säßen und „Zigarettle“ rauchten, dann müssten sie sich nicht wundern. Er arbeite seit 70 Jahren 15 Stunden am Tag, und also was.

Der Film, der die ausdrückliche Prämisse hat, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, zeigt die, die arbeiten, und die, die arbeiten lassen, also den alten Würth hie, der ein paar Milliarden Umsatz im Jahr macht und seine zigmillionenschwere Kunstsammlung durchaus auch als „Inveschtment“ sieht, und seine Arbeiterin da, bei der, weil der Mann berufsunfähig ist und nur eine kleine Rente kriegt, stets so viel mehr Monat als Geld da ist, dass ihr die Tränen kommen. Dem Außendienstmitarbeiter, der bei 60 Prozent Fixum für Würth auf Provision fährt und der den direkten Zusammenhang von Würths Zahlen und den eigenen rudernd in Sätze zu packen versucht, die ihre Wahrheit möglichst geschminkt vor die Kamera tragen, steht beim Kundengespräch, das er in hündischer Jovialität zu absolvieren hat, der Schweiß in dicken Tropfen auf der Schläfe, denn es ist Sommer. Würth rechnet währenddessen vor, wieviel Geld ihn das koschtet, wenn der Außendienst seine Autos in der Arbeitszeit betankt, und drum muss es jetzt in der Freizeit geschehen.

„Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.“ Eichendorff, 1835

Im Sauerland sitzen sie beim Grillen, Leute, die auf 60-Prozent-Stellen 900 Euro netto verdienen, und ein braver, um Wort und Gedanke verlegen gemachter Mann versteht von der Welt genau jenen Teil nicht mehr, den nicht zu verstehen im Interesse von Würth und Springer ist: dass nämlich noch mehr von denen, die in Kreuzberg auf der Wiese sitzen, nach Deutschland kommen und mit Handy und Laptop ausgerüstet werden. Eine Frau versucht einen Einwand, getragen von der Ahnung, dass sie denen viel ähnlicher ist als den Fabrikanten, aber auf den Begriff kriegt sie es nicht und dreht bei. Andernorts tut es dem Chef eines mobilen Pflegedienstes leid, dass er seiner altgedienten Krankenschwester nicht mehr als 15 Euro die Stunde zahlen kann, aber mehr kriege er nicht abgerechnet. Die hochqualifizierte Krankenschwester, seit dreißig Jahren unterwegs, sagt, auf die eine oder andere Weise seien sie alle kaputt, Rücken, Knie, und mehr Geld wäre schon schön, aber sie sei ohnehin dabei, bei einem anderen Arbeitgeber noch einmal „durchzustarten“. Ein paar Einstellungen weiter ist sie wieder da, wo sie immer war, es habe nicht gepasst.

„And I, I don't know how to take it / And you, you don't know how to spell it“ Shout Out Louds, 2007

Der Autor tritt aus dem Off hauptsächlich mit der einen Frage heraus: „Was verdienen Sie?“ und lässt im übrigen die Leute reden (oder weinen). Es ist die Frage aller Fragen, die die freie soziale Marktwirtschaft auf ihren Kern zurückführt: Die einen kriegen wenig, die anderen viel, und es gibt genau zwei, die das in Ordnung finden: die Studentin vom Lieferdienst, die auf Lehramt studiert und weiß, dass sie’s mal besser haben wird, und der Schraubenmagnat. Alle anderen wissen, dass sie die Angeschmierten sind, und so schwer, s.o., ist das auch nicht zu verstehen. Aber so richtig sagen können sie’s nicht, denn erstens sieht der Arbeitgeber zu, und zweitens fehlt denen, denen die Worte fehlen, schlicht das Zauberwort, das allein der mit patriarchaler Leutseligkeit ausspricht, der von dem, was es bezeichnet, so glänzend profitiert.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

 Huch, Wolodymyr Selenskyj!

Laut Spiegel wollen Sie »überraschend nach Deutschland reisen«. Verständlich, Flugzeug oder Zug werden auf Dauer ja auch langweilig. Interessiert, ob Sie stattdessen einen Tunnel graben, mit einem Zeppelin fliegen oder doch per Faltkanu heranschippern, wünschen Ihnen in jedem Fall eine gute Reise

Ihre Travelguides von Titanic

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Really, Winona Ryder?

Really, Winona Ryder?

In einem Interview mit der Los Angeles Times monierten Sie, dass einige Ihrer jungen Schauspielerkolleg/innen sich zu wenig für Filme interessierten. Das Erste, was sie wissen wollten, sei, wie lange der Film dauere.

Wer hätte gedacht, Ryder, dass Sie als Kind aus der Glanzzeit des Fernsehkonsums einmal die Nase rümpfen würden, weil junge Menschen möglichst wenig vor der Glotze sitzen und sich stattdessen lieber bewegen wollen? Davon abgesehen: Sind Sie sicher, dass sich die Abneigung gegen Cineastisches und das Verlangen, bereits beim Vorspann die Flucht zu ergreifen, nicht nur auf Werke beziehen, in denen Sie mitspielen?

Fragt sich Ihre Filmconnaisseuse Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
23.10.2024 Karlsruhe, Tollhaus Max Goldt
23.10.2024 Berlin, Walthers Buchladen Katharina Greve
24.10.2024 Stuttgart, Im Wizemann Max Goldt
25.10.2024 Potsdam, Waschhaus-Arena Thomas Gsella