Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ausländer raus
„Solidarisch“ bedeutet, meinem Wörterbuch zufolge, „füreinander einstehen“. Bitte ein Beispiel, wer wann zuletzt in dieser „Scheißdemokratie“ (Joseph Roth) für einen Nächsten eingestanden ist (Sozialarbeiter und karitativ Wirkende ausgenommen)? Gegenprobe: Wer wann nicht? Bzw. sogar gegen seinen Nächsten? Das ist einfach: „Wachsender Haß auf Flüchtlinge alarmiert evangelische Bischöfe. – In Berlin-Hellersdorf mußten Flüchtlinge im Sommer tagelang Spießruten laufen, in Sachsen lauerten Rechtsradikale einem Flüchtling auf dem Heimweg zu seiner Unterkunft auf. Und in Rackwitz bei Leipzig schrien Dutzende aufgebrachte Bürger Ende August den Vertreter des Landratsamtes nieder, der ihnen mitteilte, daß im leerstehenden Lehrlingswohnheim demnächst 120 Flüchtlinge unterkommen sollen“ (SZ, 13.9.).
Es geht nicht darum, daß der Russe Österreich annektiert hat und acht Millionen Österreicher beim Piefke Asyl suchen; es geht um 120 arme Schweine, die in einem leeren Wohnheim, das unnütz in der Gegend herumsteht, untergebracht werden sollen, bundesweit um vielleicht 80 000 Asylsuchende (= 1 Promill der Gesamtbevölkerung), deren Anträge ohnehin meist abgelehnt werden und die bis dahin in ihren Unterkünften nicht mehr dürfen als vergammeln, weil arbeiten verboten ist und Residenzpflicht herrscht. Für den deutschen Spießbürger geht es auch nicht darum, daß er Kleider spenden müßte, Suppe ausschenken oder Flüchtlingskindern das schlechte Deutsch beibringen, in dem er seinem Haß holpernd Ausdruck verleiht, nein: Er muß sie bloß dulden, hinnehmen, akzeptieren. Nicht einmal das, diese Schwundstufe von Solidarität, ist drin: „... Bürger in Rackwitz … haben ein Flugblatt verteilt: Durch Ausländer werde das Bildungsniveau an ihrer Schule gesenkt. Die Kriminalität werde steigen. Und auf dem Weg zur Bürgerversammlung sagte eine Frau, es werde schon darüber geredet, das Problem zu lösen. Entweder das Haus werde jetzt abgefackelt oder später – dann, wenn es bewohnt ist.“
„Die Leute wollen unter sich sein / und gehen dafür über Leichen" Distelmeyer, 2001
Es ist keine ganz schlechte Pointe, daß ich für dieses Kroppzeug, dessen Bildungsniveau mühelos durch die Nachbarschaft zu einem Heim für unkastrierte Straßenhunde zu heben wäre, einen Solidaritätsbeitrag zu zahlen verdonnert bin, für jene mithin, für die Solidarität im Höchstfall eine nationale ist. Solidarität will eben gelernt sein, und es fehlt durchaus an Indizien dafür, daß die freiheitliche Demokratie, in der Bischöfe darum betteln müssen, daß im Wahlkampf, wenn irgend möglich, „nicht Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht“ werde, dafür das richtige Lernumfeld ist. Selbst im stinkreichen Norwegen, das vor Ölgeld nicht aus den Augen schauen kann, werden Asylsuchende, unter dem Beifall der Mehrheit, nach 48 Stunden ins „sichere Drittland“ weitergereicht, weil es eben keinen Unterschied macht, ob einer hat oder ob einer nicht hat: Abgeben will er in keinem Fall, und das Fremde ist das Böse, nein: das Arme.
Solidarität ist, mit einem Wort, unkapitalistisch, denn Solidarität kann es nur in einer Ordnung geben, die es nicht nötig hat, Armut zu stigmatisieren, weil entweder jeder arm ist oder die Armut abgeschafft. Das tribalistische Ressentiment gegens Anders-Unvertraute, wie es gerade der zum Gesamtdeutschtum befreite DDR-Kleinbürger pflegt, muß man den Leuten freilich aberziehen, und daß solche Avancen von herrschender Ideologie als „Bevormundung“ abgetan werden, spricht bloß für eine Freiheit, die immer nur eine zum Totschlagen ist. (Wofür die liberale Presse, bei allem Stirngerunzel, natürlich volles Verständnis hat: „Denn entwurzelte Menschen mit Kriegstraumata werden … Bürgern vor die Nase gesetzt, die vor allem eins haben: Angst. Diese Angst könnte in Gewalt umschlagen.“ So schreibt ein Arschloch übers andere.)
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