Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Aus der Mitte entspringt der Stuss
Ich werde ja mählich kurios, und also bekomme ich Angst vor Urlaubsgrüßen, weil sie in den meisten Fällen von sehr weit herkommen, selbst in den Herbstferien. Erstens ist es deprimierend, dass allen alles wurscht ist, ja weite Teile der Welt erst richtig anfangen und loslegen, zweitens muss man sich zum Urlaubsgruß ja verhalten, gerade dem elektronischen, und so sinnlos eine Diskussion ums Reiseverhalten generell ist, so ist sie es via Chat erst recht.
Überdies würde man damit unweigerlich zu jenem Verbotsfaschisten, den der unermessliche Hilmar („Romancier“) Klute in seiner SZ an den Pranger gestellt hat. Klute ist gegens Extreme von rechts und links, was im Zusammenhang bedeutet: gegen Leute, die Renate Künast Fotze schimpfen, als auch gegen die, die der Überzeugung sind, „dass Liberalität am besten durch Verbote und Weisungen zu verteidigen sei“. Kommen, gähn, natürlich die „streberhaften“ Fans sprachlicher „Normierung“ – als wäre der Klute, indem er auf dem generischen Maskulinum besteht, nicht selbst einer und als sei seine „Süddeutsche“ nicht Tag für Tag massiv (sic) dabei, wenn es um darum geht, die Normen nach unten zu prügeln – und die übrigen Moralinskis, vertreten etwa durch G. Thunberg, die vor der UN-Vollversammlung mit den Tränen kämpft, was dem Antiextremisten Klute nicht Ausdruck von Verzweiflung ist, sondern peinlich. „Vor einiger Zeit durfte man noch darauf vertrauen, dass die Leute gewisse Dinge selbständig regeln. Die Raucher fanden ihren Freiraum vor der Kneipentür, die Hundebesitzer zückten schon die Plastiktüte, wenn der Hund um einen Baum strich, und das teure Carsharing machte viele Städter zu Gelegenheitsautofahrern. Das alles reicht nicht mehr aus, jetzt geht es immer gleich ums Ganze. Denn der Wallungswert bei unkorrektem Allgemeinverhalten ist erheblich gestiegen, das Vertrauen in die sich selbst zügelnde Zivilgesellschaft ist dem Wunsch nach mehr staatlicher Regulierung gewichen.“
„In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod.“ Friedrich von Logau, 1654
Die sich selbst wunderbar zügelnde Zivilgesellschaft hat derweil das Phänomen des sog. Littering geboren, dass Leute nämlich ihren Müll mit voller Absicht in die Gegend schmeißen, und darauf zu vertrauen, dass Herrchen und Frauchen die Scheiße ihrer Köter vom Gehsteig holen, ist in meinem Viertel nichts als naiv. Die Raucher finden ihren Freiraum erst vor der Kneipentür, seit sie drinnen nicht mehr rauchen dürfen, es sei denn in der Raucherkneipe, was den Konflikt grosso modo beigelegt hat, so wie Genderist*innen und Verweigerer eigentlich ganz gut nebeneinander her leben, mitunter im selben Blatt; man könnte es fast für Liberalität halten.
Aber „schmallippige Rechthaberei“ muss anzeigen, wem es um jene goldene Mitte geht, die mit den Extremismen von rechts und links nichts zu tun haben will und sich vor Anschlägen auf Synagogen beinah halb so doll fürchtet wie vor einer Rückkehr der DDR, dieses Verbotsstaats par excellence, der noch heute dabei hilft, das Nichtkonforme zu denunzieren: „Es hilft manchmal, die Gegenwart mit einer grellen historischen Blende zu überziehen. Dann könnte man sich zumindest gedanklich und sprachlich dergestalt sensibilieren“, nachdem man nämlich die Blende übergezogen hat, „dass lässig dahingesagte Formeln wie ,Freiheit ist ohne Verbote nicht zu haben’ in der Asservatenkammer des Blödmenschen verdämmern. Dort träfen sie dann auf jene, die wiederum glauben, man gebe einen Teil seiner Identität ab, wenn man in einem Kindergarten auf den Verzehr von Schweinefleisch verzichte.“
„Die gute Nachricht ist: Die Winter sind nicht mehr ganz so hart wie noch vor 30 Jahren, die Saison ist länger geworden.“ SZ-Golfbeilage, 2019
Auf diesen Gedanken käme die demokratisch-liberale (SZ-)Mitte allenfalls auf den Leserbriefseiten, ist sie doch das Substrat jener Veranstaltung, bei der sich, wenn’s schon nicht bleiben kann, wie es ist, alles sehr „langsam und schrittweise“ (Klute) ändert. Eine Woche Malle oder Rio zwischendurch ist also bloß Demokratie, und Ideen wie die der „Aktivistin“ (ders.) Rackete, Reporter nicht mehr zu empfangen, wenn sie per Flugzeug kommen, Fanatismus. Denn die eigentliche Mäßigung liegt in der mählich zu mäßigenden Maßlosigkeit, und wer Aktivismus für ein Übel hält, bleibt passiv und vertraut darauf, dass die Zukunft nicht die vom IPCC noch viel zu vorsichtig ausgemalte ist, sondern „möglicherweise … deutlich besser aus(sieht)“ (a.a.O.).
Die Asservatenkammer des Blödmenschen hat ja dann sicher Klimaanlage.
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