Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Aus Prinzip
Es ist peinlich genug, Thalia-Kunde zu sein. Aber wenn die freundliche Quartiersbuchhandlung sich übernehmen lässt und die freundlichen Quartiersbuchhändlerinnen unter dem neuen Regiment ja nicht unfreundlicher werden, soll man da wechseln? Und in der nächsten Buchhandlung von neuem viel Zeit und Geld in den Status als informierter Edelkunde investieren?
Neuerdings liegen bei Thalia aber die Nazi-Kochbücher von (oder wenigstens: die Kochbücher des Nazis) Attila Hildmann aus, die andernorts aus den Regalen verschwunden sind. „Wir wollen niemanden bevormunden und akzeptieren, dass es Meinungen gibt, die nicht im Einklang mit unseren eigenen Werten stehen“, sagt Thalia. „Wenn Gerichte entscheiden, dass die Äußerungen von Herrn Hildmann volksverhetzend sind, werden seine Kochbücher aus den Regalen verbannt und nur noch auf Kundenwunsch bestellt.“ Thalia reagiert damit auf Kritik, und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist das kein ganz verrückter Standpunkt: Noch der Mann, der seine Frau auf offener Straße erschießt, ist solange unbescholten, wie er nicht verurteilt ist, was verhindert, dass eine andere Instanz als das Gericht das Urteil spricht, der Volkszorn etwa. Gegen diesen gewiss manchmal lästigen, nichtsdestoweniger ehernen Grundsatz hat sich ein Kommentar des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) gerichtet: „Es gibt keinen einzigen Grund, erst mal ,die Gerichte entscheiden’ zu lassen, ob Hildmann nun eine Straftat begangen hat oder nicht. Was Hildmann tut, sagt oder durch Megafone brüllt, ist hinreichend dokumentiert. Wer das nicht sieht, der will es auch nicht sehen.“
„Im Prinzip ja, aber …“ Radio Eriwan, o.J.
Was der Kollege vom RND wiederum nicht sehen will: Eine Beweisaufnahme ist noch kein Urteil. Der einzige Grund, den es angeblich nicht gibt, einen kriminellen Idioten straflos zu lassen, ist, dass er erst schuldig gesprochen werden muss, schon weil nicht jeder der Fall so eindeutig ist wie bei Hildmann, der Kopfgelder aussetzt, Hitler preist und Reichskanzler werden will; falls hier „eindeutig“ nicht heißt, das Recht auf ein psychiatrisches Gutachten zu verletzen. Freilich lässt sich finden, es sei die Pflicht der Zivilgesellschaft, der lahmen Justiz zuvorzukommen, von der man nicht mal weiß, ob sie, zumal gegen rechts, überhaupt ein gerechtes Urteil spricht und sprechen will. Aber die Zivilgesellschaft hat ja nun auch nicht immer recht, und was im einen Fall „gesellschaftliche Verantwortung“ (RND) ist, mag in einem ähnlichen bloß Angst vorm Shitstorm sein. Den Sarrazin haben sie übrigens alle verkauft, denn die Mittelschicht bevormundet man um so weniger gern, je breiter sie ist.
Niemand ist gezwungen, Kochbücher von Attila Hildmann zu kaufen. Genausowenig ist jemand gezwungen, Kochbücher von Attila Hildmann zu verkaufen, und je weniger beides tun, um so besser, denn Nazis muss man ja nun nicht auch noch finanzieren. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass automatisch ein mit „Ignoranz“ (RND) geschlagener Kollaborateur wäre, wer es, bei wachsender zeitgenössischer Lust auf den Boykott als wunderbar letztinstanzlich, mit dem Prinzip hält, an welches nämlich gerade dann erinnert werden muss, wenn seine Verletzung geboten erscheint.
(Drum soll eins auch nicht Thalia-Kunde sein.)
Liebe Leserin, lieber Leser, das Sonntagsfrühstück macht Urlaub und ist am 23. August wieder für Sie da.
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