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Gärtners kritisches Pfingstsonntagsfrühstück: Der Hohn der hohen Dame

Als Berufsärgerer und Medienbeobachter ist man für Journalismus aus gutem Hause ja dankbar; denn wenn der Faschismus schon nicht täglich sein Haupt hebt, auf daß ich ihm die Maske von der Fratze reiße, und Freund Fleischhauer (Jan) ja meistens nur noch langweilig ist (die Grünen sind eigentlich Spießer? Heißes Eisen!), schreiben Jasper v. Altenbockum (FAZ) und Constanze v. Bullion (SZ) gottlob genauso, wie sie heißen, und hat diese noch den Vorteil, daß sie ihr Ressentiment nicht ganz so herrenreiterhaft unverhohlen in die Spalten rührt wie ihr Frankfurter Kollege, was dem Beobachter, der sich nicht unter Niveau unterhalten mag, allemal mehr Spaß macht.

Wohlan, Süddeutsche Zeitung, 14. Mai, Panorama, der Prozeß gegen die Schläger vom Berliner Alexanderplatz beginnt, die genau sieben Monate zuvor Jonny K. zu Tode gebracht haben sollen (und wohl auch haben). Die Schlagzeile lautet „Es tut ihnen leid“, die Unterzeile geht so: „Nach dem brutalen Tod von Jonny K. am Berliner Alexanderplatz stehen nun sechs junge Männer vor Gericht. Sie lassen ihre Anwälte sagen, was sie bedauern und schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe“. Das fehlende Komma lassen wir mal so (nicht) stehen, denn es geht ja nicht um Zeichensetzung, sondern darum, daß, wenn eine Constanze v. Bullion über einen Mordprozeß berichtet, dessen Angeklagte Hüseyin I. oder Onur N. heißen, die Berichterstattung sofort diesen „süffisantischen Ton“ (Heinz Becker) kriegt, der, bei allem gerechten Entsetzen über den gewaltsamen Zufallstod eines Unschuldigen, schon wieder den Goût des klassenjustiziell Vorverurteilenden hat. „Es tut ihnen leid“ – vielleicht liegt es an mir, daß das nach dem Hohn der hohen Dame klingt, die weiß, was von Entschuldigungen des Pöbels zu halten ist, nämlich nichts: „Sie bereuen, immerhin, oder sie geben vor zu bereuen“, heißt es weiter im Text, na eben, die fanden das doch geil, und jetzt sitzen sie da, und es tut ihnen leid. Wenn es ihnen aber im Ernst leid täte, dann sprächen sie selber und schickten nicht ihre Anwälte vor, nicht wahr: „Ich möchte an dieser Stelle sagen, wie leid es mir tut, daß er tot ist“ / „Ich wollte noch einmal sagen, wie sehr ich mich schäme und alles bedauere“ / „Ich war der erste, der Jonny K. getreten und verletzt hat“ – es mag die Ahnung gewesen sein, daß man als Hüseyin I. oder Onur N. vor einem deutschen Gericht besser fährt, wenn man seinen Anwalt etwas Vorformuliertes vortragen läßt, was man selbst, auf den Schulen, die nicht die Schulen von Constanze v. Bullion waren, nie zu formulieren gelernt hat und also nicht formulieren kann, schon gar nicht vor Gericht, wo die Sprache die Sprache von Constanze v. Bullion ist und nicht die von Hüseyin I. oder Onur N. Daß auch das gegen sie verwendet werden kann (und wird), hätten die Anwälte ihren Mandanten freilich stecken können.

"Meine Dienstboten aber lehrten ... mich [meine Schwächen] in dem Maße erkennen, wie ihre Fehler wuchsen. Durch ihre unweigerlich auftretenden Mängel lernte ich die unveränderlich bestehenden meiner eigenen Natur kennen, ihr Charakter führte mir gleichsam einen Negativabzug von dem meinigen vor Augen." Proust, 1920/21 

Sie haben auf Jonny K. eingetreten und eingeprügelt, und wer wann wohin getreten oder geprügelt hat, ist schwer zu ermitteln, „ist ein Verwirrspiel, bei dem jeder die Schuld auf andere schiebt“, was zu behaupten sich aber solange verbietet, wie nicht heraus ist, welcher Tritt und welcher Schlag der tödliche war. „Jonny K. hatte vier Verletzungen am Kopf, sagt der Richter. Und daß eine davon, womöglich die tödliche, von seinem Sturz aufs Pflaster herrühren könnte. Der Prozeß wird am Donnerstag fortgesetzt.“ Und Hüseyin I., Onur N. und die anderen werden nicht wissen, warum sie getreten und geprügelt haben. Dem spätbürgerlichen Apokalyptiker H.M. Enzensberger hat die Diagnose, der globale „Bürgerkrieg“ zeichne sich dadurch aus, daß es „buchstäblich um nichts“ gehe, vor 20 Jahren einige Aufmerksamkeit eingetragen; das wird den Angeklagten sowenig nützen wie eine Presse, die zwar ihre Ahnungen hat: „Alle Angeklagten sind gebürtige Berliner. Keiner von ihnen hat sich fürs Deutschsein entschieden“, aber natürlich lieber über „blanke Stirnen“ und „Trotz“ und (wahrscheinlich) fehlende Reue räsonniert als über den Bürgerkrieg, in dem es, dem Causeur HME zum Trotz, nicht um nichts geht, sondern darum, daß Constanze v. Bullion über Hüseyin I. und Onur N. schreibt und niemals umgekehrt.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella