Gärtners kritisches Ostersonntagsfrühstück: Und er spielt Cello
Es ist ja schon schwer genug, optimale Literatur zu produzieren; um wie vieles schwerer eine optimale Literaturverfilmung! Wenn es doch gelingt, hat man sich den Grimme-Preis dann wirklich mehr als verdient: „Das wahre Gesicht des ehemaligen DDR-Regimes und eine scheinbar heile Familienwelt im Dresden der achtziger Jahre – der ARD-Zweiteiler ,Der Turm' macht daraus eine optimale Literaturverfilmung, so sieht es die Grimme-Jury“, so sah es eine Sonja Gerhardt von der ARD, die zwar die Begründung der Grimme-Jury richtig zitierte („Dem Zweiteiler aus der Teamworx-Werkstatt gelingt der Drahtseilakt zwischen Opulenz und Verdichtung. ,Der Turm' ist eines der seltenen Beispiele einer optimalen Literaturverfilmung“), aber freilich nicht wußte, daß das wahre Gesicht des ehemaligen DDR-Regimes wie das von Günter Schabowski aussieht, der als Rentner in Berlin-Charlottenburg lebt, und daß das wahre Gesicht des damaligen DDR-Regimes ausgesehen haben mag, wie es will, garantiert aber nicht wie das von Jan Josef Liefers.
"Statistisch gesehen, ist der Mythos rechts." Roland Barthes, 1957
Um das „DDR-Regime“ als solches geht es aber auch nicht, in der superoptimalen Verfilmung noch viel weniger als in der Buchvorlage, sowenig wie es im Mütter-Väter-Weltkriegs-Film neulich (ebenfalls eine Teamworx-Angelegenheit, es wäre mal Zeit für einen vaterländischen Verdienstorden) um das wahre Gesicht des Weltkriegs ging. Es geht, da hat die Marler Jury recht, um Verdichtung, um die Produktion von Mythen, um Geschichte, die in nuce fürs Zielpublikum zu fassen sein soll, dessen Ressentiments also zu berücksichtigen sind (was leicht ist, denn sie decken sich mit denen der Produzenten): Wenn im „Turm“-Film der liebe Bildungsbürgersohn bei der Nationalen Volksarmee geschurigelt wird, dann von stumpfen, brutalen Proleten, die schon im Mütter-Väter-Epos die Sadisten waren, Köpfe von Abweichlern in die Kasernenlatrine tunken und die Bürgerkinder dafür hassen, daß sie Cello spielen. Seht her (das ist die Kurzbotschaft), so sieht sie aus, die Diktatur des Proletariats; weswegen die Diktatur der Bourgeoisie, unter der neuerdings Proletenköpfe reihenweise in der gesamtideellen Kloschüssel verschwinden, als unbedingt präferabel erscheint, jedenfalls dem Zielpublikum, das, so dürfen wir unterstellen, sich auf dem Bau viel weniger zuhause fühlt als in Dvořáks Cello-Konzert in h-moll, auch wenn im Alltag dann doch eher ferngesehen wird.
Eine optimale Literaturverfilmung ist also eine, die niemanden beim Nichtdenken stört, Weltbilder bestätigt und Herrschaftsverhältnisse affirmiert; und sich dafür von den Klassenkameraden feiern läßt. Ein Drahtseilakt ist das allerdings nicht; eher ein Osterspaziergang. Und zwar ein eisekalter.
◀ | Neues von Justin Bieber | TITANIC-Leser wissen mehr | ▶ |
Newstickereintrag versenden…