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Gärtners kritisches Ostersonntagsfrühstück: Der Tag der lebenden Toten

Wenn, was Allah verhüten möge, die Türken und Türkinnen ihren psychotischen Oberspinner zum Größten Führer aller türkischen Zeiten gewählt haben werden sollten, dann können sie hierzulande mit den Augen rollen: Wie kann man denn, wie kann man nur in einer freien Wahl die Freiheit abwählen? Aber erstens haben das Oma und Opa bekanntlich auch getan, und zweitens reicht ein an einem kühlen Karfreitag unternommener Familienbesuch in einen deutschen Wildpark, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß Freiheit im Zweifel dazu genutzt wird, sie an der Garderobe abzugeben.

Das ist wörtlich zu verstehen; und ohne hier meinen epochalen Aufsatz aus der Mai-TITANIC 2015 wiederholen zu wollen, der die entschlossene Gore- oder Sonstwie-Tex-Uniformierung der Mittelschicht in den Blick nahm, war’s doch abermals erschütternd zu sehen, wie völlig schnurzegal es so gut wie allen ist, in welcher Kluft sie am hellichten (Feier-)Tag die Gegend bevölkern. Das ist mit dem „Verlust der Öffentlichkeit“ (Habermas, Sennett) gemeint, daß der Gedanke: Ich gehe vor die Tür, ich werde gesehen, ich bin ebenda Teil einer Gemeinsamkeit, und es könnte sein, ich muß oder möchte mich darauf einstellen, mich zeigen, mich (hätte man früher gesagt) fein machen – daß der nicht mehr gedacht wird. Es gibt ihn, diesseits von Beerdigungen oder Hochzeiten, schlicht nicht mehr.  

„Die Kleider beziehen ihren kommerziellen Wert in allen modernen Gesellschaften viel eher aus der Tatsache, daß sie der Mode entsprechen und also Prestige besitzen, als aus dem Umstand, daß sie ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Person des Trägers zu kleiden und zu schützen, erfüllen. Das Bedürfnis, sich anzuziehen, gehört damit zu den ,höheren’ oder geistigen Bedürfnissen.“ Veblen, 1899

Oma noch ist niemals ohne Hut vor die Tür, und nu’ ist es ja immer Verhandlungssache, was da nun als fein oder Sonntagsanzug gilt, wie sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten läßt. Aber was einhundertprozentig nicht fein ist, ist die Kleidung fürs Grobe, Unwirtliche, die für den Einsatz gedacht ist, dafür, daß man draußen zu Hause sein kann; und wiederum hilft Fassbinders „Acht Stunden sind kein Tag“ zu einer Erkenntnis, denn da sind die Proletarier, sobald es offiziell oder auch nur Wochenende wird, angezogen, noch in der Kneipe mit Krawatte, denn acht Stunden sind eben kein Tag, und die Einsatzkleidung, den Blaumann, muß man noch früh genug wieder anlegen. Die Aufhebung der Trennung zwischen Dienst und Schnaps bedeutet nun mal nicht, daß alles Schnaps, sondern daß alles Dienst ist, so wie, auf der Heimfahrt, das penetrante Angeduztwerden im (Erwachsenen-)Privatradio nicht bedeutet, daß uns das Privatradio lieb hat. Wir sind dem Privatradio scheißegal, und die als Jovialität getarnte Respektlosigkeit wird weitergereicht, wo sich niemand mehr um sich als Teil von etwas schert, das mehr wäre als immer bloß standortfreundlich. 

„Nun ja, wenn es aber doch regnet!“ – es regnete aber nicht; und gab’s da nicht mal Regenschirme? Trenchcoats? Lederjacken? Auch Freizeitfaser läßt sich in Arrangements bringen, die mehr ausdrücken als Gleichgültigkeit (eine Cordhose mag reichen, aber eine Cordhose ist ja schon Exaltation!). Doch im Wildpark bloß Trostferne: Familienverbände, von oben bis unten in künstlicher Wursthaut, Rentnerinnen, längst ohne Hut, aber mit Wolfskluft in Mauve. Sackförmig, konturenarm, uniform, und man muß sich schon zwingen, das nicht als Metapher zu lesen: daß sich das Individuum, wo’s schon nur mehr dem Namen nach existiert, dann wenigstens konsequent zum Verschwinden bringt und der Zivilisation, die doch auf ständiger Verfeinerung beruht, grimmig den Stinkefinger zeigt. Dem Kapitalismus, bekanntlich Feier des Naturzustands, ist es recht. (Es ist dies auch keine Frage des Geldes: Alle haben sie die neuesten Handys, jeder zweite ist mit dem Geländeauto da, und die scheuen Wildkatzen werden mit 1000-Euro-Objektiven herangezoomt; aber wo die 74 Milliarden Umsatz der Modeindustrie in Deutschland eigentlich hingehen, das bleibt ein Rätsel.)

Das Kopftuch ist bekanntlich abzulehnen, weil es Ausdruck von Konformität und Unfreiheit sei. Tja. Ältere Herren in Anzügen, falls man überhaupt noch mal einem begegnet, sitzen übrigens gern vor türkischen oder portugiesischen Cafés. Ich wünsche frohe Ostern.




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Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg