Fabian Lichters Economy Class
An der Grenze
Um die weltweite Pressefreiheit steht es schlecht, das meldet die Organisation Reporter ohne Grenzen. Grund dafür seien u.a. die Behinderung der Berichterstattung in Russland sowie die Verhältnisse in der Türkei. Im Ranking zur Pressefreiheit rutscht auch Deutschland ein weiteres Mal ab und befindet sich inzwischen abseits der ersten 20 Plätze. Hauptgrund dafür seien Angriffe auf Journalisten, Übergriffe vor allem aus "verschwörungsideologischen, antisemitischen und extrem rechten Kontexten" (deutschlandfunk.de). Jenem Milieu also, in dem man sich, so unterschiedlich die Ansichten seiner einzelnen Mitglieder auch sein mögen, ausgerechnet in der Klage über eine vermeintliche Lügenpresse und mangelnde Pressefreiheit spätestens zusammenfindet. Und während noch gerätselt wird, wie der Journalismus seine verlorenen Schäfchen wieder ins Boot holen könnte, verkennt man bereits den Ernst der Situation. Kaum dürften sie schließlich noch für klassische Medien zu gewinnen sein. Dazu dürfte das Ausmaß der Abwendung auch weitaus größer sein. Wer noch nicht so weit ist, von der Lügenpresse zu reden, schwadroniert derzeit eben bürgerlich gemäßigt von mangelnder Ausgeglichenheit bei der Berichterstattung zum je eigenen Herzensthema, sei es nun die Ukraineberichterstattung, bei der einem Putins Sicht zu kurz kommt, sei es die Aufarbeitung der Corona-Zeit. Statt Compact liest man Precht und Welzer. Was jener Kritik am Journalismus vorausgeht, ist vor allem ein schockierend unkritischer Bezug zu ihm. Statt die Voraussetzungen und Funktionsweise der Medien unter gegebenen Verhältnissen grundsätzlich zu reflektieren, ist man enttäuscht, wenn einmal nicht mehr das geschrieben wird, was man selbst zu wissen glaubt, wittert Verrat und Verschwörung, wo das eigene Ressentiment nicht entsprechend bedient wird. Gekränkt stimmt man in das Genöle von rechts außen ein oder findet Zuflucht beim Algorithmus, von dem man sich besser versorgt fühlt.
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