Fabian Lichters Economy Class
Martenstein Soundsystem
Eine Frage, die die Welt in den letzten Tagen wie kaum eine andere bewegte, lautete grob verkürzt etwa so: Wird der Journalismus besser oder schlechter, wenn man Kolumnen von Harald Martenstein löscht? Eigentlich eine einfache Sache, denkt man, also nur zu, es war dann aber doch alles etwas komplizierter. Er habe nur geschrieben, was er denkt, so Martenstein, genauer gesagt, die Aneignung des Judensterns durch deutsche Geschichtsverdreher habe nichts mit Antisemitismus zu tun, sondern sei vielmehr Zeichen der Identifikation. Darauf gab es, na klar, Empörung und wenig später war er auch schon weg, der Text. Und Märtyrer Martenstein gleich mit. Wer seinen "Sound" möge, schrieb er, könne ihn ja weiterhin drüben im Zeit-Magazin lesen. Die Löschung aber sei für ihn Anlass gewesen, dem Tagesspiegel Lebewohl zu sagen. Mit wem sich Menschen identifizieren, die bisweilen an gleich mehrere Weltverschwörungstheorien gleichzeitig glauben, oder die zumindest mit Kameraden solcher Couleur spazieren gehen, es könnte einem eigentlich auch schon wumpe sein. Und nicht jedes Zurückrudern nach allgemeiner Wurstigkeit beim Blattmachen ist gleich Zeichen eines nahenden Niedergangs der Öffentlichkeit. Dass ausgerechnet die Taz aber noch als Verstärker einspringt und die Löschung des Artikels als feige bezeichnen muss, überrascht dann doch. Den eigenen Kolumnistinnen fällt man zwar nicht löschend, zumindest aber publizistisch bekanntlich nur zu gerne in den Rücken, sobald sich etwa ein Polizeigewerkschafter über eine Glosse erzürnt. Meinungsmachende aber führten nun mal »die Debatte stellvertretend für die Leser*innen. Und wer wollte bestreiten, dass nicht mittige Teile der Gesellschaft so denken wie Martenstein?« (taz.de). Auf deren „Sound“ möchte man in diesen schwierigen Zeiten offensichtlich nur ungern verzichten.
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