Dax Werners Debattenrückspiegel KW35
Liebe Leser:innen,
neulich ist mir aufgefallen: Menschen, die früher in der StudiVZ-Gruppe "Hilfe, mein Duschvorhang will mit mir kuscheln!" waren, sind heute alt genug, um sich zivilgesellschaftlich bei den Querdenker-Demos zu engagieren. Und schreckte hoch: Oh Mann, so alt bin ich schon? Wo sind die Jahre geblieben? Tempus fugit, stimmt's? Vielleicht ist es heute Zeit für einige Reflektionen zum Thema Vergänglichkeit.
Wenn sich im Herz eines Kolumnisten Vergänglichkeitsgefühle einstellen, gibt es für gewöhnlich ein bewährtes Hausmittel: Noch ein Text gegen den ideologischen Zwang zur "Gendersprache". Das Problem: Die Wirkung dieses Gegenmittels lässt mit jeder Dosis etwas nach, so dass sich sich diese Sorte Kolumnentexte inzwischen bei vielen überproportional häufen. Harald Martenstein ist zum Beispiel bei einem Gendergaga-Text pro Woche gelandet, Jan Fleischhauer könnte theoretisch täglich einen in die Tastatur hacken.
Für uns Millennials gibt es weniger krawallige Strategien, mit der eigenen Vergänglichkeit und dem kulturellen Abgemeldetsein umzugehen. Wir gehen gerne ins Kino, jedoch nur, um uns dort den im Prinzip immer gleichen Film wieder und wieder anzusehen. Oder fahren seit 15 Jahren auf dieselben Festivals, um uns dort seit 15 Jahren dieselben Bands anzusehen. Und uns zwischendurch gegenseitig zu vergewissern, dass wir TikTok nicht verstehen und Klimaproteste zwar notwendig sind, jedoch bitte im Einklang mit dem Gesetz stattzufinden haben.
Und vielleicht ist so auch die Aufregung um das Winnetou-Kinderbuch zu verstehen, um das es – ja, erwischt – schon letzte Woche an dieser Stelle ausführlich ging. Das Gefühl, dass da jetzt noch eine Säule der Daseinsfürsorge dichtmacht – ist es nicht irgendwie auch ein wenig nachvollziehbar? Ein wenig wie die berühmte Buslinie, die gestrichen wird oder der Penny, der seine Pforten für immer schließt. Alles ist eitel.
Denke ich darüber nach, wie wir dem Vergänglichkeitsproblem gesamtgesellschaftlich Herr werden könnten, fällt mir immer wieder die US-amerikanische Science-Fiction-Serie "Westworld" ein. Dort geht es um einen hyperrealistischen und von Bots bevölkerten Amüsier-Park, der sich jeweils einen thematischen Schwerpunkt setzt. In der ersten Staffel geht es dort zum Beispiel um den Wilden Westen.
Und dann fällt mir auf: Verfügen wir mit den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg nicht schon genau über unser Westworld? Ein Ort der Einkehr und Besinnung, eine Form der kollektiven Hypnose, in der für immer die 1960er Jahre sind?
Ein schönes Konzept, dass sich vielleicht auch auf andere Bereiche ausweiten lässt.
Eine fröhliche Rest-KW noch: Euer Dax Werner
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