Dax Werners Debattenrückspiegel KW34
Liebe Freund:innen,
die größten Debatten in Deutschland entzünden sich bekanntermaßen immer dann, wenn für ein Recht auf Antisemitismus im Kabarett, Dreadlocks-Kopfschmuck für Weiße oder die bitteschön weiterhin ungestörte Sexualisierung weiblicher Körper in U- und E-Kunst gestritten wird. Dass hierfür in keinem Fall je etwas gerichtlich oder per Gesetz verboten, sondern lediglich punktuell nicht goutiert wird, macht keinen Unterschied. Manchmal reicht schon eine Kurzmeldung auf Seite 22 der Neuen Osnabrücker Zeitung und los geht die Debatte.
Seit dieser Woche gesellt sich ein weiteres Pattern hinzu: Ein Recht auf Vermarktung eines Kinderbuchs, das in Anlehnung an die Fantasiegeschichten entstand, die sich ein sächsischer Conman vor 130 Jahren über die indigene Bevölkerung Nordamerikas ausgedacht hat. Und wenn auch ihr langsam den Überblick verliert: Mir geht’s ähnlich.
Aber vielleicht habe ich auch einfach unterschätzt, wie viele Old-School-Leseratten sich dann doch noch unter uns tummeln, die es offenbar in eine schwere Identitätskrise stürzt, wenn eine von vermutlich Millionen im Umlauf befindlichen Karl-May-Editionen vorübergehend nicht lieferbar ist. Für den Debattenrückspiegel habe ich mich auf die Suche gemacht. Wer sind diese Menschen, die vor Wut schäumen, wenn Ravensburger sein Sortiment inkrementell adjusted? Ich hab sie gefunden: Im Kommentarbereich der Instagram-Seite vom Ravensburger Kinderbücher Verlag. Sie hören auf Namen wie "Niels Ruf" oder "Jan Leyk", kratzten vor Urzeiten mal kurz an der Schwelle zur Relevanz und bespaßen seither sich und ihr Umfeld mit Podcasts oder Twitch-Streams. Oder kommentieren bei ihrem Herzensverlag mit drei Lachsmileys oder dem Wortspiel "Bravensburger". Und noch ein anderer, der vor Ewigkeiten seine "15 Minutes of fame" genoss, meldete sich auf dem Zuckerberg-Dienst mit Sharepic zu Wort: Thomas Kemmerich, die Älteren erinnern sich, der sechste Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, ließ sich auf einer Parkbank mit Original-Winnetou-Ausgabe ablichten. Caption: "Ich lasse mir Winnetou nicht nehmen. #Absurdistan".
Dass auch sein Herz für die Wild-West-Fantasy schlägt, hätten wir natürlich alle miteinander schon an seiner Liebe für Schlangenleder-Cowboystiefel erahnen können. Wer wird sich wohl noch zu Wort melden: Der FDP-DJ Paul van Dyk? Harald Schmidt? Wäre es nicht mal wieder Zeit für einen offenen Brief von Harald Welzer, Juli Zeh und Richard Precht? Das wird die kommende Debattenwoche zeigen.
Komme was wolle, ich freu mich drauf: Euer Dax Werner
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