Dax Werners Debattenrückspiegel KW22
Liebe Leser:innen,
"Ich lade alle ein, das mit einem Lächeln zu machen, Freude daran zu empfinden." Ein paar Tage rätselte ich, worüber Volker Wissing in diesem Zitat aus dieser Woche eigentlich sprach: Den Tankrabatt? Bei REWE klauen? Oder vielleicht sogar das versaute Wort mit den 3 Buchstaben? Nein, Zoo machte keinen Sinn, Sex auch nicht. Zug? Ja, es geht um Zugfahren! Die andächtige, fast protestantische Energie, mit der Wissing das Neun-Euro-Ticket dieser Tage bewarb, steckt einfach an. Doch einige können sich mal wieder nicht beherrschen und überspannen den Bogen. Ein Einwurf.
Wenn ich eines über das Leben gelernt habe, dann das: Wünscht man sich eine Sache wirklich aus tiefstem Herzen, dann muss man einfach nur nichts tun und abwarten, bis es von alleine kommt. Jetzt ist es da, das Neun-Euro-Ticket. Meine Jungfernfahrt damit habe ich schon hinter mir und ich empfand tiefe Dankbarkeit, nicht mehr jedes Mal 3 Euro zahlen zu müssen, wenn ich vom Kölner Hbf zwei Stationen bis zum Heumarkt fahre.
Für mich ist das Neun Euro Ticket eben nicht nur ein Mobilitäts-Schub, sondern auch Stärkung der Schiene, Verkehrszeitenwende, Demokratisierungsrakete und Teilhabe-Enabler in einem. Für andere wiederum ist das alles nichts weiter als ein großer Spaß. Der Spiegel etwa schickt am Freitag sechs Journalist:innen auf Reportage und zimmert mithilfe des Digital-Dienstleisters Tickaroo einen Liveticker zum "Neun-Euro-Experiment in vollen Zügen" zusammen. Einen Feldenkirchen sucht man unter den Ticker:innen natürlich vergebens, die meisten der sechs haben auf Twitter drei bis niedrige vierstellige Followerzahlen und gehen ziemlich aufgeladen ins Experiment. "Das muss jetzt einfach klappen", scheinen sich einige am Morgen im Share Now BMW noch beim Red Bull Zero gedacht zu haben und spammen den Liveticker so ironisch zu, als wäre es 1997 und Guildo Horn wäre gerade beim Eurovision Song Contest 7. geworden.
Muss nicht sein imho. Was mir auch aufstößt: Viele sogenannte "Bahnfans" machen sich an diesem Wochenende auf nach Sylt, als sei es 1995 und das Schönes-Wochenende-Ticket (SWT) gerade erfunden worden. Die Insel soll verwüstet werden, den reichen Schnöseln auf ihrer Protz-Insel wird es jetzt mal so richtig gezeigt. Antiquiertes Freund-Feind-Denken wie auf den ersten Platten der Toten Hosen, mit echter Bahnliebe hat das alles schon lange nichts mehr zu tun. Count me out! Was ich mir für die kommenden drei Monate wünsche? Etwas wenig Brechhammer-Ironie wie vor 25 Jahren, dafür mehr Dankbarkeit, Achtsamkeit und Entspannung auf all euren Bahnwegen. Oder wie Volker Wissing eben sagen würde: "Ich lade alle ein, das mit einem Lächeln zu machen."
Fährt heute ausnahmsweise auf Gleis 2 direkt gegenüber ein:
Euer Dax Werner
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