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Dax Werners Debattenrückspiegel KW14

Liebe Leser_innen,    

es war ein Schritt, der so und nicht anders zu erwarten war: Das Greifswalder Katapult-Magazin, der Go-to-Place in Sachen tagesaktueller Berichterstattung, ging die ersten 4 Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine auf die Matratzen, produzierte im Akkord Infografik um Infografik, darunter ein dezent in rot getauchtes Sharepic "Putin versetzt Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft". Anschließend wurde per Handzeichen über einen freiwilligen Gehaltsverzicht zum Aufbau einer ukrainischen Redaktion abgestimmt. Wie tickt die Photoshop-Redaktion in Greifswald, die dpa-Meldungen ganz neu denkt? Was können wir von ihr lernen? Ein Ortsbesuch.    

Es ist Mittwochmorgen, kurz nach 5 Uhr, als ich in Greifswald ankomme. Wer verstehen will, wie ein Sharepic entsteht, muss hier hinkommen: Katapult-Länd. Langsam rolle ich mit dem Share Now Mini über den Schotter, als mich der Chef persönlich an einem selbstgebauten Checkpoint ungefähr 500 Meter vor dem Redaktionsgebäude rauswinkt. Sein Atem verdampft und bleibt einen Moment lang in der Luft stehen: Es ist kalt. "Werner von der Titanic? Alles klar, einmal durch zum Haupteingang", ordnet er kurz an und schultert dann wieder sein Gewehr, das er, wie er mir später erklären wird, nur zum Teil aus Solidarität trägt: Vorgestern seien Leute vom DJV in der Gegend gesehen worden, Gewerkschafter könne er hier gerade überhaupt nicht brauchen.    

Dann führt mich Benjamin Fredrich in der Redaktion herum. Ich will es wissen: Wie arbeitet Deutschlands wichtigstes Medium, wenn es um tagesaktuelle Berichterstattung geht? Fredrich lächelt: "Im Grunde liegen die News auf der Straße. Die Deutsche Presseagentur schreibt jeden Tag hunderte Meldungen, aber keiner setzt sich hin und kopiert die Überschrift mal in Photoshop rein. Old-economy-mindset. Hier kommen wir ins Spiel." Ich nicke begeistert: Bin ich gerade dabei, wie die Zukunft des Journalismus in Greifswald gelebt wird? Vielleicht. Ich spreche ihn auf das Sharepic zur Atomwaffenbereitschaft vom 27. Februar an. Hätte das Magazin hier nicht noch weiter einordnen müssen, einige Leser_innen hätte die Meldung sicher in Panik versetzt? "Nein, wieder falsch gedacht. Als Magazin können wir nur Denkanstöße liefern. Zuviel Hintergrund kann eine Geschichte auch schnell kaputt machen. Die Story muss im Kopf des Lesers entstehen. Stichwort Fantasie." Fredrich formt einen Kreis mit seinen Händen und blickt mich lange an. Ich blicke lange in den Kreis und kurz befürchte ich, dass er nun doch eingeschlafen ist, doch dann ist er wieder da: "Komm, ich zeig dir was." 

Auf dem Weg in den Keller spreche ich ihn auf den Gehaltsverzicht an: "Habt ihr wirklich per Handzeichen darüber abgestimmt, wer auf sein Gehalt verzichten will? Ist das nicht irgendwie schwierig, also rechtlich?" Wer wirklich Journalismus betreiben will, für den sei es zweit- bis drittrangig, ob er dafür bezahlt werde, erklärt Fredrich. Das sei auch so ein Satz von ihm, über den er lange nachgedacht habe und der mit der Zeit immer besser werde. "Aber da endet es nicht. Matthias?" Ein schlaksiger Mittzwanziger mit Augenringen gesellt sich plötzlich zu uns, offenbar ist das Matthias und er führt stolz aus: "Ich habe gestern mein Abschlusszeugnis von der RTL-Journalistenschule verbrannt. Aus Solidarität! Die ZDF Drehscheibe kommt morgen Mittag vorbei, dann stellen wir das im Hof nochmal für die Kameras nach!”    

Als wir den Keller betreten, höre ich plötzlich nur noch wildes Wasserrauschen. Dies sei das Katapult Klima Lab, brüllt mir Fredrich ins Ohr. Hier werde abgebildet, wie Redaktionen in einigen Jahren in den Niederlanden und an der Ericusspitze arbeiten werden. Im Keller schwimmen einige Mitarbeiter_innen in Tauchanzügen, als sie Fredrich sehen, zeigen sie kurz einen Daumen nach oben.

Ein Leben am Limit im Dienste der Berichterstattung. Das geht irgendwann an die Substanz: "Gestern Nachmittag habe ich mich dabei erwischt, dass ich mal kurz eine Sekunde nicht an den Ukraine-Krieg gedacht habe. So geht's natürlich nicht. Ich hab mir jetzt freiwillig die andere Hälfte meines Gehalts gekürzt."

Als ich mit dem Mini vom Hof fahre, winkt mir Fredrich kurz hinterher. Dann geht es zurück an die Newsfront: das Geschäft mit den dpa-Meldungen kennt keinen Schlaf.    

Euer: Dax Werner            




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

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