Dax Werners Debattenrückspiegel KW11
Liebe Leser_innen,
neulich hatte ich es dann auch. Ihr wisst schon, Corinna, den Kultschnupfen aus Wuhan. Die 10 Tage Isolation habe ich bis auf leichte Erkältungssymptome und ein digitales Mini-Abo der FAZ, das ich für fiebrige 14,90 € abgeschlossen habe, unbeschadet überstanden. Und weil mir das Gesundheitsamt auch 4 Wochen nach dem Positiv-Test noch keinen Brief geschickt hat und mir auch sonst der Lesestoff ausgeht, habe ich unter der Woche den Grundsatztext "Das Gewissen macht Feige aus uns" von Simon Strauß aus dem FAZ-Feuilleton studiert. Eine alarmierende Lektüre.
Das Human Resource Management kennt die Methode des "Feedback Sandwich", also negative Kritik in lobende Worte zu verpacken. In diesem Sinne möchte ich Simon Strauß dafür loben, dass er in seinem Text zumindest nicht (wie schon einige vor ihm) versucht, die gendergerechte Schreibweise für den Krieg in der Ukraine verantwortlich zu machen. Mehr noch: Fast gnädig verzeiht Strauß sowohl den "Schneeflöckchen" als auch den "Koalitionären" (?), Putins Angriffskrieg nicht vorausgeahnt zu haben. Stellvertretend für alle Angesprochenen sage ich: Danke. Ein paar Zeilen später geht’s jedoch schon ans Eingemachte: "Darüber hinaus eignet sich der Einsatz für ukrainische Flüchtlinge nicht in gleicher Weise wie 2015 als Ausweis moralpolitischer Fortschrittlichkeit, denn es gibt ja gerade glücklicherweise quasi keine Fremdenfeindlichkeit, von der man sich absetzen müsste." Dieser Absatz ist für mich Anlass, über die Art und Weise, wie wir auch künftig miteinander Debatten führen wollen, neu nachzudenken. Der verbitterte Gestus, in dem Simon Strauß selbst ehrenamtlichen Helfer_innen, die jetzt gerade Flüchtende aus der Ukraine versorgen, zwischen den Zeilen egoistische Motive unterstellt ("Ausweis moralpolitischer Fortschrittlichkeit") macht mich - ich will offen sein - betroffen. Und schwächt gleichzeitig Strauss' behutsame Argumentationskette, denn dass es im Zusammenhang mit den Flüchtenden aus der Ukraine sehr wohl zu rassistischen Vorfällen gekommen ist (zum Beispiel an den Grenzübergängen in Osteuropa) übersieht Strauß in seiner emotionalisierten Wutrede.
Dann wechselt der Ton fast ins Bedauern: "Die Generation der deutschen Nachwendekinder, die durch das Aussetzen der Wehrpflicht ihr Studium ein Jahr früher beginnen konnten, hatte mit Krieg bislang nichts zu tun" Abgesehen davon, dass wer in dieser Logik nach 1989 nach Deutschland gekommen ist entweder keinen Krieg erlebt haben kann oder offenbar einfach nicht dazu gehört, stellt sich die Frage, welches geheime Kriegswissen die von Strauß so detailreich ausgedachte Generation nun gehabt hätte, wenn noch ein paar Jahrgänge mehr den sechsmonatigen Grundwehrdienst bei Dosenbier verbracht hätten.
Vielleicht hätte Strauß bei seiner Generationenanalyse eine Prise Richard David Precht gut getan, der vor ein paar Tagen ungefragt erklärte: "Ich schaue maximal mitfühlend und maximal kühl auf den Krieg". Doch statt die Sache kühl zu analysieren wie Deutschlands größter Philosoph lässt sich Strauß zu immer abenteuerlicheren Aussagen hinreißen: "Auch das Wort 'Volk' – gerade noch bis in die höchste Regierungsebene hinein vermieden – wird jetzt von jedem Millennial wie selbstverständlich verwendet." Ich bin selbst Millennial und ich kenne exakt immer noch niemanden, der dieses Wort selbstverständlich verwendet.
Ich gebe es ja zu: Als Millennial hat man es nicht einfach. Die Gen Z tanzt uns via TiKTok auf der Nase herum, das mit dem eigenen Haus wird voraussichtlich ziemlich eng, die Arbeitsverhältnisse sind oft prekär und ständig wird von dir erwartet, dass du zu alles und jedem eine klare Meinung formulieren kannst. Und dann noch dieses ständige Angstbauchweh. In diesem Sinne entpuppt sich Simon Strauß, 1988 geboren, in seiner verkürzenden, emotionalen und in weiten Teilen ausgedachten FAZ-Analyse über die Millennial-Generation vermutlich als der größte Millennial überhaupt.
Es ist okay, Simon. Es ist nicht deine Schuld.
Dein: Dax Werner
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