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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 50

Liebe Leser_innen,

die Füße hochlegen, den da oben einen guten Mann sein lassen und ein paar schöne alte Krimis aus der guten alten Zeit rewatchen: So sollte die Vor- und Nachweihnachtszeit doch eigentlich idealerweise aussehen. Doch wie so oft machen verschiedene Interessengruppen diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Zum Beispiel das ZDF. Das wiederholt nämlich seit 2013 keine "Derrick"-Folgen mehr, weder im linearen noch im nicht-linearen TV. Der Grund: Im April des Jahres kam heraus, dass der Derrick-Darsteller Horst Tappert zu Lebzeiten Mitglied in der Waffen-SS gewesen war. Ein früher Fall von Cancel Culture? Zumindest nicht für den Youtube-Kanal "KultKrimi", der alle 281 Folgen ins Internet geladen hat. Ich habe mir für die heutige Kolumne alle Folgen von 1974 bis 1998 angesehen. Und glaube, wir können auch heute noch (trotz allem) eine Menge von Stephan Derrick lernen. Ein Listicle mit sechs Learnings.

  1. Um den Elefanten im Raum gleich unter Punkt 1 zu adressieren: Ja, Derrick war in der Waffen-SS. Und wird seither nicht mehr wiederholt. Doch wie äußerte sich Fritz Wepper, der 24 Jahre als Derricks Assistent Harry Klein durchs Fernsehen ermittelte, schon 2013: "Ein Stück TV-Kult, das Millionen mögen, zu verdammen, weil die Geschichte eines Darstellers Fragen aufwirft, halte ich für übertrieben und eine Bevormundung der Zuschauer." Learning: Derrick nur aufgrund seiner Nazi-Vergangenheit aus dem Programm zu nehmen, ist ein Fehler, der den Öffentlich-Rechtlichen heute so hoffentlich nicht mehr passieren dürfte.

  2. Der Spiegel lag mit seiner Kritik am ersten Derrick wie so oft wieder einmal völlig daneben: Ein "mieser Eindruck" hätte sich da geboten, tobte das Ressort TV in der Brandstwiete. Stein des Anstoßes: Die Derrick-Folgen begannen mit dem Mord, der in allen Einzelheiten samt Täter (!) erzählt wird. Eine Umkehrung des Whodunit, also der Suche nach dem Mörder als Konstruktionsprinzip, die man sich vielleicht bei der ein paar Jahre zuvor in den USA gestarteten Columbo-Reihe geborgt hatte. Warum aber, Euer Ehren, konnte ein ZDF-Freitagabendkrimi, dem der Spiegel das Prädikat "mies" verliehen hatte, trotzdem noch 24 Jahre lang laufen und zur meistverkauften deutschen Serie in der Fernsehgeschichte aufsteigen? Keine weiteren Fragen. Learning: Die Netflix-Serie "Dark" war vielleicht ein internationaler Erfolg, hier in Deutschland spielen wir aber seit jeher lieber den einfachen Pass. Das heißt: Je weniger mentale Anstrengung das Anschauen verlangt, desto besser. Wichtiger Punkt.

  3. Derrick war ein Kanzler-Liebling. So gab Helmut Kohl selbst einmal zu Protokoll: "Erstens gucke ich gelegentlich Krimis, zweitens gucke ich ganz besonders gern Derrick-Filme und ich finde, Horst Tappert ist ein fantastischer Darsteller. Wenn ich irgend kann, merke ich mir das aus der Rundfunk- und Fernsehzeitschrift vor und dann gucke ich mit großem Interesse und großem Behagen." Learning: Abschalten wie der Kanzler. Wer den Krimiabend wie weiland Helmut Kohl begehen will, markiert sich Youtube in der Hörzu und schaut Derrick heimlich auf dem Handy unter der Bettdecke.

  4. Derrick lebte, so würde man heute sagen, straight edge: Rauch nicht, trank nicht und schwieg sich über sein Gefühlsleben aus. Wenn er einen Fall endlich gelöst hatte, jubelte er nicht, sondern fiel in eine noch viel größere Melancholie als zu Beginn der Folge. Wäre die Alpro-Barista-Hafermilch 1974 schon am Markt gewesen, wäre ich mir sicher, dass der Kommissar genau damit seinen Kaffee veredelt hätte. Learning: Als Typ ist Derrick moderner denn je und würde in der Agenturszene von Köln-Ehrenfeld heutzutage kaum auffallen. 

  5. Den Start der Reihe begleiteten hart geführte Debatten um die Brutalität in "Derrick": Es seien zu viele Morde und die würden zudem noch zu explizit gezeigt. Einige Folgen wurden deswegen sogar nur noch in einer gekürzten Fassung wiederholt. Learning: Um in einem im globalen Maßstab gesehenen Fernseh-Zwergenland wie Deutschland einen Welterfolg zu kreieren, braucht es nur genügend Tote und unverhältnismäßig viel Brutalität auf dem Bildschirm. Ähnlich wie beim Netflix-Hit "Squid Game" aus Südkorea. Zufall oder Chiffre?

  6. Egal ob Früh- oder Spätfolgen, egal ob Siebziger oder Neunziger Jahre: Derrick erzählt uns heute mehr denn je aus einer lange aus der Mode gekommenen Zeit, nämlich der alten Bundesrepublik. BRD Noir in 4:3, verrauchte Zimmer, schrillende Türklingeln, heruntergekommene Maisonette-Wohnungen, in denen Architektur-Studierende der LMU München vor sich hin hausen. Learning: Wer ein Gefühl dafür bekommen will, wie sich dieses Land anfühlen wird, wenn Friedrich Merz ab 2025 regiert, sollte einfach wie ich alle 281 Derrick-Folgen studieren.

Viele Freude dabei und gesegnete Weihnachtstage: Dax Werner




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster