Dax Werners Debattenrückspiegel KW 49
Liebe Freund_innen,
an diesem Sonntagmorgen schreiben wir schon Tag 5 des Kabinett Scholz I. Zeit für einige Fragen, die mich schon die gesamte Regierungszeit über quälen und Erkenntnisse, die nicht nur mich, sondern auch euch überraschen werden. Doch der Reihe nach.
Das aktuelle Image der Ampel hätte keine Agentur der Welt besser begleiten können. Vorneweg ein Kanzler, dem wie Jan Ullrich anno 1997 einfach alles gelingt, wirkt die Ampel gerade nicht wie ein rein arithmetisch bedingtes Übel, sondern wie das erste innovative Projekt auf Bundesebene seit dem Mauerfall, mehr noch: Wie ein modernes Märchen samt eigener Toniebox-Produktlinie. Man versteht die Ampel nicht auf konventionellem Weg, hört man es fast schon durch die Zeit-Debattenseite erklären, man müsse sie erfühlen. Erinnert sie nicht fast schon an die französische Filmkomödie "Ziemlich beste Freunde" aus dem Jahr 2011, in dem sich jedoch anstatt des ungleichen Duos ein ungleiches Trio vom Schicksal zusammengewürfelt findet und – tausende gut laufende Hochglanz-Post auf Instagram später – lernt, worauf es im Leben wirklich ankommt, nämlich gute Politik, Kettcar und ins Gelingen verliebt sein?
Ein bisschen kurz gegriffen, so mein bescheidenes Gefühl. Denn wer wirklich verstehen will, wie die Ampel tickt, muss hierher, genau dorthin, wo das Projekt seinen Anfang nahm: Ins Internet. Manche sagen: Klingbeil-Land (englisch ausgesprochen).
Genau hier feuerte TITANIC-Chefredakteur Moritz Hürtgen diese Woche einen Tweet in die Umlaufbahn, der mir die Richtung wies. Hürtgen im Original: "Fast das halbe Kabinett ist 51 Jahre alt." Etwas in mir räsonierte mit diesem kurzen, banalen Tweet, der oberflächlich kaum mehr als eine beiläufige Feststellung zu sein schien. Zunächst jedoch war es Zeit für den DW-Faktencheck: Volker Wissing: 51. Wolfgang Schmidt: 51. Nancy Faeser: 51. Habeck: 52, sieht aber aus wie 51. Hubertus Heil: 49, aber eigentlich alterslos.
Beweisaufnahme abgeschlossen. Dass Olaf "Scholzer" Scholz selbst laut Ausweisdokumenten 63 Jahre alt sein soll, täuscht über den bislang wohl am häufigsten übersehenen Fakt der Ampel-Koalition hinweg: Große Teile des Kabinetts Scholz I zählen zur Generation X, also den geburtenschwachen Jahrgängen zwischen 1965 und 1980, der Kohorte Til Schweiger, Verona Pooth und Sascha Lobo. Menschen, die ihre Zwanziger mit Nirvana, Privatfernsehen und der damals hoch kochenden Debatte anlässlich des Rebrandings von Raider zu Twix verbracht haben. Und mit der Generation X gibt in der neuen Regierung nun erstmals die Generation den Ton an, zu deren Merkmalen nicht nur "Perspektivlosigkeit und Desinteresse", sondern auch "Ziellosigkeit und [eine] pessimistische Einstellung im Leben" gehören.
Wollen uns Scholz, Lindner, Habeck und Co. mit ihrer agil anmutenden Performance der ersten 5 Tage also nur täuschen? Verbietet Karl Lauterbach uns Millennials bald, die Carbonara zu salzen? Einfach weil er so schlecht gelaunt ist? Haut die Generation Golf dieses Land in den nächsten vier Jahren so richtig in die Pfanne? Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich habe Angst.
Bis nächste Woche, so wahr mir Gott helfe: Dax Werner
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