Dax Werners Debattenrückspiegel KW 43
Liebe Freund_innen,
"Es gibt ein absolutes Ende aller Maßnahmen – und alle Maßnahmen enden spätestens mit dem Frühlingsbeginn am 20. März 2022." Was ein Statement von Marco Buschmann (FDP) diese Woche, umso betrüblicher, wenngleich im Vorhinein natürlich absehbar, dass der Nachsatz, derzufolge dieses "Ende" nur dann gelte, wenn sich die Pandemie-Lage bis dahin nicht verschärfe, es "leider" nicht in jede Berichterstattung zu und über diese Buschmannsch‘e million dollar quote geschafft hat. Kunststück! Nur Menschen, die bei Zeit Online unter Artikel kommentieren und Satiriker_innen auf dem zweiten Bildungsweg würden hier entgegnen, dass auch sie ab dem 20. März nächsten Jahres kein Schüssler Salz mehr einnehmen werden, sofern sie sich bis dahin keine Magenprobleme einhandeln. Pointen, die unter Pispers noch kollektive Lachsalven allererster Güteklasse ausgelöst hätten und die in unserer globalisierten Welt Stand 2021 so müde, fast schon brüchig daherkommen, dass man beinahe Mitleid bekommt. Wo sind die guten alten Oneliner hin?
Denn das viel größere Drama dieses Satzes ist, welch riesige Chance Buschmann hier verschenkt hat. Klar ist: Mit dieser potenziell historischen Erklärung, die ja eigentlich in etwas anderen Worten nichts anderes hätte bedeuten können, als dass das Corona endlich bedingungslos vor uns, den Deutschen, kapituliert, hätte sich Buschmann endgültig von "Wer war eigentlich gestern dieser FDP-Typ bei Lanz" in die erste Riege des politischen Berlins hochspielen können; mehr noch, der ich-sag-mal "Teig" zwischen seinen Händen war Material genug, sich gleich mit dem ersten Auftritt auf der großen Berliner Bühne ein Denkmal zu setzen, und zwar inmitten und neben den großen Statements der jüngeren und älteren Geschichte. Genscher-auf-dem-Balkon-in-Prag-Level. Doch Buschmann hat nicht durchgezogen, kam ins Straucheln (Angst vor der eigenen Courage?) und nannte doch noch Bedingungen und Einschränkungen, ohne die all das Gesagte zur Makulatur wird. Ein Problem, dass ich in der Praxis immer wieder erlebe. Nicht umsonst sprechen wir im Coaching von Hintertüren als den "Tod einer jeden Absichtserklärung".
Welches learning nehmen wir heute mit? Easy as it gets: Wer sich unsterblich machen will, formuliert keine Bedingungen. Dass auf Martin Luthers "I have a dream" nicht "if i sleep well tonight" folgte, ist gewiss kein Zufall, sondern eine ganz bewusste Entscheidung eines Mannes, der wusste was zu tun war, um der message mehr Drall zu geben. John F. Kennedy hat nicht gesagt "Ich bin vielleicht ein Berliner, also, falls ich diesen Monat noch einen Termin beim Einwohnermeldeamt bekomme", nein, seine Aussage war klar, eindeutig, kompromisslos: Ich bin's, und wenn das ein Verbrechen ist, dann nehmen Sie mich gleich mit, Officer. Damit konnten die Bewohner_innen der geteilten Stadt arbeiten, so kreiert man Spillover-Effekte in die klassischen Medien. Einer, der es auf den letzten Metern seines Jahrhundert-Statements fast noch vermasselt hätte, war der SED-Spitzenfunktionär Günter Schabowski: Wäre bei der Bekanntgabe der neuen Regelungen für die Ausreise aus der DDR auf sein "das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich" tatsächlich noch eine einschränkende Bedingung gefolgt – wer würde sich heute noch an ihn erinnern?
In dieser Liga spielt Buschmann noch lange nicht, das muss ihm selbst klar sein. Aber in dem Statement diese Woche war nichtsdestotrotz schon viel Schönes dabei.
Insofern: Dranbleiben, champ. Es gibt viel zu tun.
Dein: Dax Werner
◀ | Fast richtige Schlagzeile (1,5) | Heute im Stream: Starbooks Folge 2 | ▶ |
