Dax Werners Debattenrückspiegel KW 3
Liebe Leser:innen,
es war eine Nachricht, die Hoffnung stiftet in herausfordernden Zeiten: Seit ein paar Tagen ist "Clubhouse" auch in Deutschland verfügbar und nach Google Plus, PerspectiveDaily und und dem WordPress-Plugin für Mikrospenden namens tinyCoffee (letztes Update vor drei Jahren) ist sie auf dem besten Weg, das nächste ganz ganz große Ding im Journalismus zu werden. Die Bubble ist verständlicherweise angegeilt wie lange nicht mehr!
Normalerweise würde ich dem informierten Publikum dieser Kolumne gar nicht mehr erklären müssen, worin genau der Unique Selling Point dieser Granaten-App aus der US-Softwareschmiede "Alpha Exploration Co." liegt, aber aktuelle Auswertungen legen nahe, dass sich unter meinen Leser:innen leider auch "Menschen" mit Android-Smartphones tummeln. Und die hat man für den Launch von "Clubhouse" wohlweislich erstmal draußen gelassen, sie sollen (angeblich) in einem zweiten oder dritten Schritt mitgenommen werden. Ganz unter uns, die Gründe für diese Entscheidung liegen natürlich auf der Hand: Erstens wäre das Mobilfunknetz in Berlin-Mitte ohne die Beschränkung auf verantwortungsvolle Verbraucher mit Apple-Produkten kurz nach dem Launch zusammengebrochen und zweitens bringen Leute, die freiwillig Android-Endgeräte nutzen, aus Erfahrung nochmal eine ganz andere, speziellere Energie rein. Im klugen Meinungsstück zum Hype hieß es gestern entsprechend auf tagesschau.de: "Zivilisierte Debatten, weniger Störer."
Deswegen ein kurzer elevator recap über die App der Stunde: "Clubhouse" ist eine kostenlose Telefonie-App für Menschen, die auf Facebook, Twitter und Instagram einen blauen Haken haben. Und andere, weniger relevante Menschen können ihn nun dabei zuhören. Nicht nur mich erinnert das ganze Konzept an den berühmten Film des großen deutschen Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck (2,05 m): "Das Leben der Anderen". Auch Datenschützer – in aller Regel Kunden von Huawei und Samsung – schlagen Alarm: "Clubhouse" benötigt beim Einrichten Zugriff auf alle Kontakte im Telefonbuch, so dass auch noch nicht registrierte User:innen mitsamt der Anzahl der potenziellen Freund:innen in der App gefunden werden können. Meine Meinung dazu: Nur Kleingeister und Rumnörgler beschweren sich über kostenlose Publicity, die ja letztendlich immer auch auf die eigene brand einzahlt. Außerdem stehen die Nummern aus Berlin doch auch schon im Telefonbuch? Schade, wenn man sich und anderen mit diesem 20. Jahrhundert-Denken immer nur selber im Weg steht!
Für meinen Teil haben die ersten Erlebnisse und panels auf der Plattform meine Erwartungen sogar noch übertroffen. Wer will, kann den ganzen Tag wunderbar klugen Diskussionsrunde lauschen, wie zum Beispiel "Millennial-Journalismus: Weinerlich, egozentrisch, nischig?", "Startup Buzzword Bingo" oder – heute Abend! – "Maschmeyers Talk" mit Toni Kroos und Timo Werner (beides Fußballspieler). Diskurs-Demokratisierung pur: Jeder kann Experte für alles sein, wenn man nur fest genug daran glaubt! Auch Doro Bär von der CSU ist nach wenigen Tagen schon auf einer Frequenz von 6 panels täglich, diskutierte zuletzt 8 Stunden am Stück mit Frank Thelen und Sascha Lobo über – na was wohl – Digitalisierung und bewirbt ihre Sessions selbstbewusst mit dem Hashtag #AnneWillwargestern. Da gehe ich mit der Digitalisierungsbeauftragten der Bundesregierung d’accord: Die neue Zauberapp aus Salt Lake City hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk binnen einer Woche obsoletiert. Nicht nur, dass in den Funkhäusern ohnehin überwiegend schlechtbezahlte Miesepeter mit Android-Telefonen herumsitzen und nichts machen außer immer mehr Geld zu fordern. Auch die ständige Unterteilung der gesamten Welt in Gut und Böse oder Links und Rechts nervt nicht nur, sondern verhindert auch ohne Not extrem produktive Debatten mit neurechten Influencer:innen, wie zum Beispiel zuletzt mit Anabel Schunke. So gesehen kommt Clubhouse genau zur richtigen Zeit und ermöglicht vielen wichtigen Menschen in den Medien, trotz der Balla-Balla-Kontaktbeschränkungen von Bund und Ländern wunderbar einfühlsame Gespräche mit den oftmals unfair als "unzurechnungsfähig" gelabelten Vertretern aus der anderen Seite des politischen Spektrums zu führen.
Auch meine anfängliche Furcht, dass aufgrund der hohen Taktung von Sessions den Menschen auf der App schnell die Themen ausgehen werden, bewahrheitet sich zum Glück nicht: Nachdem ein extrem verkürzter und unfairer Screenshot der oben genannten Runde im Internet die Runde machte, diskutierte die Bubble der Wichtigen den "Skandal" noch bis in die frühen Morgenstunden in unendlich vielen Sub-Panels aus. Wenn "Clubhouse" also eines lehrt, dann das wirklich jeder Gedanke ein panel werden kann. Und vielleicht haben die Entwickler damit etwas geschafft, woran Wissenschaftler:innen jahrhundertelang gescheitert sind: Ein perpetuum mobile für Debatten.
Leaves fürs Erste quietly und wünscht eine panelreiche nächste KW:
Dax Werner
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