Newsticker

Nur diese Kategorie anzeigen:Dax Werners Debattenrückspiegel Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Dax Werners Debattenrückspiegel KW 12

Liebe Leser:innen,

Endlich! Bei Kilometerstein 38 des Pandemie-Marathons kämpft sich die FDP zurück auf die politische Bühne. Plötzlich scheint Jamaika im Herbst möglich, und vielleicht ja sogar schon früher mit dem Flieger. Erst ging es für die Liberalen in der Sonntagsfrage satte drei Prozentpunkte hoch, dann konnte man auch noch einen prominenten Parteineuzugang verkünden: den Eisenhüttenstädter Diskjockey Paul van Dyk! Das Signal, das hiervon ausgehen soll, ist klar: Wenn uns das Merkelregime die Mallorca-Auszeit madig macht, holen wir uns Mallorca eben nach Hause – und drücken ihm bei der Gelegenheit ein Parteibuch in die Hand.

So einen Sensationstransfer musst du natürlich medial entsprechend kommunizieren – oder, wie der Saarländer MP Tobias Hans im Tagesthemen-Interview am Donnerstag sagte (und dabei offenbar sein eigenes Medien-Briefing vorlas): "Die Menschen brauchen ein Signal, eine Erzählung, die sie glauben können." Eigentlich hatte ich es nicht mehr für möglich gehalten, dass mir metafiktionales Erzählen nach dem Grundkurs Literaturwissenschaft noch einmal irgendwo begegnen würde. Und noch weniger, dass es ausgerechnet im Saarland wieder auftaucht! Diese Pandemie ist wirklich für einige Überraschungen gut.

Zurück zu Dyk. Keinem geringeren als FDP-Parteichef Christian Lindner kam es natürlich zu, den Personal-Scoop zu vermelden: "Der große Kulturschaffende @PAULVANDYK ergreift Partei für die #Freiheit. Macht nicht nur gute Musik, sondern sagt auch kluge Dinge. Welcome! CL". Lindner verquickt das tendenziell etwas abgenutzte Attribut "groß" mit ausgerechnet der Bezeichnung, welche den DJ kulturpolitisch als Pandemie-Problemfall klassifiziert. Um es mit der Zeit zu sagen: "Foucault hätte gejuchzt." Um ordentlich Druck auf das Thema zu bekommen, flankierte man die Personalie zusätzlich mit einem großen Interview in der Tageszeitung Welt. Darin geht van Dyk mit seiner alten Liebe SPD hart ins Gericht: "Die SPD war für mich eine Partei ohne den moralisch arroganten ideologischen Vorbau, den sie jetzt vor sich herträgt." Interessant, dachte ich, habe ich so in den letzten 12 Monate gar nicht täglich auf Twitter gelesen. Fast möchte man ihm zurufen: Obacht, DJ Paul, wenn du weiter so klug und gefährlich vor dich her denkst, landest du noch mit Ralf Stegner auf der Pro-&-Contra-Seite in der Zeit! Doch der DJ hat noch lange nicht genug und dreht die Debattenregler ein paar Sätze weiter richtig auf: "Unter Schröder wurde gefordert und gefördert." Ich gebe es unumwunden zu: Sehnsuchtsvolle Erinnerungen an den Altkanzler sind natürlich Trance in meinen Ohren.

So wie Paul van Dyks Musik. Sie ist nicht einfach nur Sangria-Techno, zu dem man im Deutschland-Trikot auf dem Parookaville-Festival in Weeze mit der Polizei abkumpeln kann. Vielmehr handelt es sich hier um musikgewordene Polittheorie, sie erinnert an Aufsätze von Nils Heisterhagen, die in Songs wie "Duality" behandelten Themen und Gedanken scheinen ähnlich komplex und wegweisend wie die des letzten Intellektuellen in der SPD. Es ist der Sound, den du auf der A8 zwischen Leonberg und Sindelfingen im geleasten Audi A8 hörst und, nur Augenblicke nachdem du gerade einen Mittelständler um 150 Arbeitsplätze verschlankt hast, bei 240 Kilometern pro Stunde auf die geniale Idee kommst, in die Partei des sechsten Ministerpräsidenten von Thüringen, Thomas Kemmerich, einzutreten, weil du dir denkst: "[Die FDP] hat sich maßgeblich in den letzten sieben Jahren verändert. Sie ist bei der Freiheit geblieben, hat aber verstanden, dass eine freiheitliche, weltoffene Gesellschaft mit einer sozialen Fairness im Land verbunden werden muss. Aber selbst wenn, ich wähle doch lieber die Partei der Apotheker als eine, die sich nicht klar von Rassismus abgrenzt."

Begeistert zeigte sich auch der reichweitenstärkste Jungliberale im Internet und zwitscherte unter das Lindner-Statement "@totalreporter Lindner-Retweet, alles erreicht" (1 Retweet, 8 Favs). Viraler ging da schon seine ausgewogene Analyse zur jüngsten Bund-Länder-Konferenz Anfang der Woche: "Kein Politiker der BRD-Geschichte hat mehr Schaden angerichtet als Angela Merkel. Kein einziger. Die Alte soll sich endlich verpissen." Offenlegung: Bei so viel intellektueller Energie und politischem Stil bekomme ich auch gleich Lust, mich bei der FDP anzumelden.

Trotz aller Euphorie: Ein Wort der Mahnung sei gestattet. Denn nicht immer geht es so sachlich und faktenbasiert wie bei den Jungliberalen zu, wenn FDP und Welt gemeinsame Sache machen. Das ZDF berichtete diese Woche, dass es die angebliche Lockdown-Müdigkeit "bei den Menschen da draußen", mit der ja die Lockerungen Anfang März begründet worden waren, genau betrachtet gar nicht gab: "Im Februar konnte man den Eindruck gewinnen, eine Mehrheit in Deutschland wolle Öffnungen. 'Lockerungen jetzt', titelte 'Die Welt' am 10. Februar. Die 'Bild'-Zeitung kritisierte Panikmache, die durch die Mutation geschürt werde. Und FDP-Chef Christian Lindner fand: 'Erste Lockerungsschritte wären möglich.' Dieser Versuch, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, sei auf Lobbyarbeit der Wirtschaft zurückzuführen, sagt Matthias Jung."

Der Rotfunk mal wieder, sagen jetzt vielleicht manche. Ich würde sagen: Der Ball liegt hier ziemlich deutlich bei Angela Merkel. Auch wenn es aktuell so aussieht, dass wir Menschen wie Lindner, Laschet und Hildmann nicht mehr erreichen: Die Kanzlerin muss den Liberalen und Wirtschaftsvertretern jetzt in einfachen Worten erklären, dass uns weder Schnelltests noch Tübinger Modelle, sondern nur noch ein gescheiter Lockdown aus der Scheiße retten kann. Kommunikation auf Augenhöhe ist gefragt. 

Dabei brauchen sie so sehr ein Signal, eine Erzählung, die sie glauben können.

Alles Gute: Euer Dax Werner




Eintrag versenden Newstickereintrag versenden…
Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

optionale Mitteilung an den Empfänger:

E-Mail-Adresse des Absenders*:

E-Mail-Adresse des Empfängers*
(mehrere Adressen durch Semikolon trennen, max. 10):

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster